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Mitternachtsspitzen
Kaum Fans, fehlende Stars und drückende Hitze: Die Leichtathletik-WM startet in Doha
Es wird spät werden, sehr spät, für die meisten der gut 2000 Sportlerinnen und Sportler, die sich ab diesem Freitag in Katars Hauptstadt Doha bei den 17. Leichtathletik-Weltmeisterschaften miteinander messen. Weil es im kleinen Emirat an Septembertagen so schrecklich heiß ist, 39 Grad am Donnerstag, können die Läufer, Werfer und Springer aus aller Welt erst in den Abendstunden gegeneinander antreten: Frühestens ab 16 Uhr werden Vorkämpfe im schmucken, klimatisierten Khalifa International Stadium ausgetragen werden. Und der Marathon der Frauen, der an der palmengesäumten Strandpromenade Corniche entlangführt, soll am Freitagabend um exakt 23.59 Uhr gestartet werden. Die letzte Goldmedaillengewinnerin des WM-Auftakttages wird also erst nach 2 Uhr feststehen.
Ob das die Art von Spektakel ist, die der kriselnden olympischen Kernsportart aus dem Stimmungstief verhilft, ist ungewiss: Ist Doha 2019 doch das erste Leichtathletikweltfest ohne Usain Bolt seit 16 Jahren. Sage und schreibe 19 Goldmedaillen gewann Jamaikas Supersprinter zwischen 2007 und 2017, so viel Popularität wie er erreichte in den vergangenen zwei Jahrzehnten kein anderer.
Den Weltverband IAAF plagen zudem andere gewichtigere Probleme. Der russische Dopingskandal ist nicht ausgestanden - der seit 2015 bestehende Ausschluss des russischen Verbandes wurde erst am Montag verlängert. Sebastian Coe, einst legendärer britischer Mittelstreckler, ist am Mittwoch als IAAF-Präsident wiedergewählt worden. Der 62-Jährige beerbte 2015 seinen schwer korrupten Vorgänger Lamine Diack (Senegal). Der hatte sich und seinen Günstlingen Millionenschmiergelder organisiert und wartet nun im Pariser Hausarrest auf seinen Korruptionsprozess.
Angesichts der Verhältnisse kommen die Weltmeisterschaften in dem Wüstenemirat unbedingt gelegen, schließlich werden auch gegen den Ausrichter der Fußball-WM 2022 häufig Korruptionsvorwürfe laut. Coe saß einst in jener Evaluierungskommission, die Doha als Ausrichter 2019 durchwinkte. Heute muss er die Kritik der Athleten ertragen: »Wenn es mal Funktionäre geben würde, die sich um die Sportler und nicht um die Kohle kümmern, wäre die WM wohl in ein Land vergeben worden, in dem es nicht so abartig hohe Temperaturen gibt«, meckerte der deutsche Speerwerfer Johannes Vetter vor ein paar Tagen in einem Interview.
Sein Teamkollege, der Langstreckler Richard Ringer hingegen sagte am Donnerstag dem »nd«, er sehe den Start nicht so problematisch. Die WM fänden eben an verschiedenen Orten der Welt statt. Bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Berlin sei es auch nicht gerade kühl gewesen. »Ich habe andere Gegner als das Wetter.«
Für die Katarer sind die Leichtathletik-Weltmeisterschaften bis zum 6. Oktober das größte Sportspektakel vor der bereits alles beherrschenden Fußball-WM. Dass die Superstars im November und Dezember 2022 in Katar auflaufen werden, hat den Fokus auf die miserablen Verhältnisse der Arbeitsmigranten in Katar gerückt. Mehr als 1200 Tote auf den WM-Baustellen prognostizierte die internationale Arbeitsorganisation ILO bis 2022. Katar reagierte mit verbessertem Arbeitsschutz, einem Mindestlohn und der Abschaffung des Kafala-Systems, dass zuvor die Arbeiter aus Nepal, Bangladesh oder Indien zu Sklaven ihrer Dienstherren gemacht hatte.
Nun ist Doha 2019 ein erster Härtetest für die WM in drei Jahren, auch was die angereisten Journalisten aus aller Welt betrifft, die in den kommenden Tagen allerlei beklagen werden. Im klimatisierten Khalifa-Stadion, das eigentlich 40 000 Zuschauer fassen kann, sollen beispielsweise die Oberränge mangels Fans abgehängt werden. Der britische »Guardian« berichtete von schleppendem Kartenverkauf und Schulklassen sowie Arbeitsmigranten, die nun die Tribünen füllen sollen. Ob die Lokalmatadoren wie Hochspringer Mutaz Essa Barshim, der vor zwei Jahren in London Weltmeister im Hochsprung wurde, für genug Stimmung im Nationalstadion sorgen können, ist fraglich.
Und wer wird der neue Superstar der Leichtathletik? »Wir müssen jetzt noch härter daran arbeiten, alle anderen in einen neuen Blickwinkel zu rücken, Profile und Charaktere hervorzuheben«, erklärte IAAF-Boss Coe in Doha. Idriss Gonschinska, Generaldirektor Sport beim Deutschen Leichtathletikverband, sagt, er sei einfach gespannt, welche neuen Vorzeigeathleten die Titelkämpfe so hervorbrächten: »Der junge Stabhochspringer Armand Duplantis aus Schweden ist so einer, der das könnte«, sagt Gonschinska. »Der hat das Potenzial. Aber auch im Sprint kann es traditionell einen geben, der sich in den Mittelpunkt drängt.«
Eine der großen deutschen Hoffnungsträgerinnen ist Sieben-Meter-Springerin und Weltranglistenerste Malaika Mihambo. Auch von den deutschen Speerwerfern wird eine Medaille erwartet. Hinsichtlich deutscher Erfolgsaussichten gab sich DLV-Mann Gonschinska gewohnt zurückhaltend. »Eine Prognose wollen wir hier nicht realisieren. Aber ich bin überzeugt: Die, die hier an den Start gehen, die werden performen.«
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