Ein Musical von unten

Heiterer Agitprop aus Berlin: »Stadt unter Einfluss«

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wohnungspolitik ist Klassenkampf«, das ist die Botschaft des Abends. Oder eine der Botschaften, es gibt nämlich mehrere. An anderer Stelle wird in aller Kürze erklärt, was zu tun ist, wenn Entmietung nach Hauskauf droht. Dann sollte man sich mit anderen Mietern zusammentun, die Kampfkasse füllen und Öffentlichkeit herstellen. Und sich außerdem nicht einschüchtern lassen, selbst zügig agieren und vielleicht auch nicht alle Entscheidung im Konsens fällen. So erzählt es eine Mieterin der Sanderstraße 11/11a im Norden Berlin-Neuköllns auf der Bühne des Kreuzberger Theaters HAU Hebbel am Ufer. Am Donnerstagabend hatte dort »Stadt unter Einfluss - das Musical zur Wohnungsfrage« Premiere, im Rahmen des Festivals »Berlin bleibt!«. Komposition, Text und Regie stammen von Christiane Rösinger, bekannt von den Lassie Singers und Britta, aber auch als Solokünstlerin. Kreuzberg? Musical? Rösinger? Das soll zusammenpassen? Es passt erstaunlich gut. Und gerade, weil es nicht perfekt ist, weil es einen zutiefst sympathischen Dilettantismus propagiert, der jedoch zum Thema passt. Denn wer darum kämpft, nicht aus der Stadt vertrieben zu werden, bloß weil man der Akkumulation von Kapital im Wege steht, ist eben kein Politprofi, sondern lernt in eigener Sache. So ist vielleicht nicht jeder Einsatz perfekt oder nicht jeder Ton auf Anhieb gefunden, aber das gehört zur politischen und musikalischen Selbstermächtigung dazu. »Stadt unter Einfluss« ist ein Musical von unten.

Dazu gehört auch, dass es einen Chor mit Mitwirkenden aus Berliner Mieterinnen- und Mieterinititativen gibt. Zwischen den Liedern gibt es nicht nur die schon erwähnte Kurzanleitung gegen Entmietung, es wird außerdem die Idee einer Stadtbodenstiftung vorgestellt oder von den Hausbesetzungen im Westberlin der 80er Jahre erzählt, durch die vom Abriss bedrohte Altbauten gerettet wurden, die inzwischen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Es hat sich einiges verändert in Berlin. Das wird schon in der ersten Szene gezeigt, Anfang der 90er war’s noch gemütlich, in den 2000ern hämmert der Techno und 2019 dann der Eigentümer an der Tür, um einen vor selbige zu setzen. Ei-ei-ei-ei-genbedarf trällern die Investoren zu sanften Harfentönen. Und frei nach Wolfgang Petry heißt es im Chor: Mietenwahnsinn, das ist die Hölle! Hölle, Hölle, Hölle! Auch Ton Steine Scherben sowie Bertolt Brecht und Hanns Eisler mit dem »Solidaritätslied« werden zitiert, das Gespenst der Gentrifizierung wird mit dem Darth-Vader-Thema unterlegt, im Hintergrund strahlt statt eben noch der Neonsonne ein €-Zeichen. Das ist nun wirklich wenig subtil. Doch die Gentrifizierung muss dann ebenso wie die Ertragslücke vom Finanzkapital erfahren, dass sie leider nicht die Ursache steigender Mieten und Verdrängung sind. Das bisschen Sojamilchschaum macht zwar ein bisschen kulturellen Wandel. Es ist aber der Kapitalismus, der die Städte verändert.

Doch auch Hipster, Touristen und Biobürger werden nicht ausgespart. Von plattem Ressentiment ist man aber weit entfernt. Es geht um die Widersprüche, die auftreten, wenn eine Stadt nach den Vorgaben der Immobilien- oder Tourismusindustrie eingerichtet wird. Dass der Kapitalismus eine Gesellschaftsform ist, die den Ausgleich von Interessen immer denen der Stärksten, also Reichsten, unterordnet, dürfte inzwischen bekannt sein. Das Ergebnis, wenn man den sogenannten freien Markt die Dinge regeln lässt, ist nämlich immer das selbe: Wer hat, dem wird gegeben. Und wer nicht, dem wird genommen. Womit wir wieder beim Klassenkampf wären. »Stadt unter Einfluss« ist durchaus Agitprop - aber auf die heitere Weise. So gibt es statt der für ein Musical obligatorischen Geschichte von der unmöglichen, aber am Ende doch noch gelingenden Liebe eine von einer unmöglichen, aber am Ende doch noch gelingenden Trennung. Hindernis war, wer kennt es nicht, der Wohnungsmarkt. Oft wird der Musicalton parodiert, die Lieder selbst sind einfach und eingängig. In der Band spielen Andreas Spechtl und Laura Landergott (Ja, Panik) sowie Sonja Deffner und Rabea Erradi (Die Heiterkeit). Und über allem strahlt Christiane Rösinger. Im Stile ihres bekannten Berlin-Liedes besingt sie all jene, die man in einer Stadt nicht missen möchte. Und für die es heißen muss: Die Häuser denen, die drin wohnen. Damit endet der Abend dann auch. Kreuzberg hat ein Wohlfühl-Musical, passend zur politischen Situation in der Stadt.

»Stadt unter Einfluss - das Musical zur Wohnungsfrage« von und mit Christiane Rösinger. Nur noch am 29. und 30. September im Hebbel am Ufer, HAU1

Stresemannstraße 29, Berlin.

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