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Dampf ablassen nach dem Debakel
Sachsens LINKE-Basis berät über Landtagswahl / Parteitag soll strömungsübergreifend vorbereitet werden
Besetzt die LINKE in Sachsen bald die Staatskanzlei, den Sitz des Ministerpräsidenten? Scheinbar eine absurde Frage. Die Partei fiel bei der Landtagswahl am 1. September auf 10,4 Prozent und ist von der Beteiligung an, geschweige denn der Führung einer Regierung weiter entfernt als je. Doch Harald Pätzold, Koordinator für Bund-Länder-Beziehungen in der Bundestagsfraktion der LINKEN, der bei der ersten von fünf Regionalkonferenzen zur Analyse des Debakels als Gastredner die Staatskanzlei ins Gespräch brachte, ging es gar nicht um die Übernahme von Posten. Er sucht Ideen, wie die Partei wieder Aufwind bekommen könnte. Sie müsse den »Geist der Revolte« neu entdecken und eine »andere Ästhetik des Widerstands« entwickeln, sagte er. Um politischen Forderungen Nachruck zu verleihen, könne sie dabei gern auch mal »die Staatskanzlei besetzen und sich raustragen lassen«.
Es ist ein kühner Blick nach vorn in einer Runde, in der die meisten der knapp 100 Teilnehmer indes erst noch einmal zurückschauen wollten. Wie konnte es zu dem Absturz um gut acht Punkte kommen, der die Partei laut der Landeschefin Antje Feiks in eine »existenzielle Krise« gestürzt hat? Etliche Regionen sind ohne Vertreter im Landtag; in der Kasse der Landespartei fehlen nun 180 000 Euro, sagt Geschäftsführer Thomas Dudzak. In drei Runden in dieser Woche sowie zwei weiteren am Montag in Leipzig und am Mittwoch in Plauen soll offen über Gründe geredet werden: eine Wahlkonstellation, die in der Frage kulminierte, ob CDU oder AfD stärkste Kraft werden, und in der die LINKE keine Rolle mehr spielte; über womöglich falsche Inhalte und eventuelle strategische Fehler - oder, wie es auf einer der drei Tafeln formuliert wurde, auf der Kritik und Anregungen zusammengefasst wurden: »Was haben wir selbst versemmelt?«
Zu der Frage kommt viel zusammen im Laufe von drei Stunden. Kritik gibt es an der Wahlkampagne: an »Plakaten für Legastheniker«, wie es mit Blick auf die darauf praktizierte arg unorthodoxe Trennung von Begriffen wie »Tradition« und »Widerstand« hieß; oder an einer Tour, die zwar mit der Nahversorgung in den Dörfern ein brisantes Thema besetzte, aber an organisatorischen Mängeln litt und als »Tante-Emma-Tour« zu allem Übel mit einem »Westbegriff« beworben worden sei, wie ein Genosse fand: »Bei uns hieß das ›Dorfkonsum‹«. Auch das Verfahren zur Aufstellung der Kandidaten sorgt für anhaltenden Ärger. Ein regional ausgewogener Vorschlag wurde auf einem Parteitag zu Lasten von Regionen wie dem Vogtland und der Lausitz verändert, die nun ohne Abgeordnete dastehen. »Es nützt nichts, die Stärkung des ländlichen Raums zu predigen, aber genau diesen dann bei der Listenaufstellung zu schwächen«, sagte André Hahn, Bundestagsabgeordneter aus der ebenfalls betroffenen Sächsischen Schweiz.
Daneben kommt Grundsätzliches aufs Tapet: Defizite, die ihren Ursprung weit vor dem aktuellen Wahlkampf und oft auch nicht in Sachsen haben. Personelle Querelen in der Bundespartei schreckten Wähler ab und spalteten die Partei in »Pro Sarah«- und »Pro Katja«-Lager, sagte eine Genossin: »Das ist schlimm.«
Die Partei schiebe zu viele ungeklärte Konflikte vor sich her, sagte Hahn und nannte die Stichworte EU oder Russland: »Wir müssen endlich entscheiden, was wir wollen.« Sie habe »den Kontakt zu den einfachen Menschen verloren«, rügte Tilo Wirtz, Stadtrat aus Dresden. Ein Genosse, der Betriebsrat in einem Unternehmen ist, verwies als Beispiel auf die gendergerechte Sprache. »Gleichberechtigung ist wichtig«, sagt er, »aber die Leute verstehen uns nicht mehr.«
Die LINKE, fügte ein anderer an, vertrete nicht mehr die ostdeutschen Interessen; die DDR und die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte sei ein »ungeliebtes Thema« geworden. Und schließlich, sagt eine vor drei Jahren eingetretene Genossin, gehe es in der Partei »nicht mehr um den Sozialismus, sondern nur darum, wer im Stadtrat oder Kreistag sitzen darf«.
Es ist viel Ärger, der sich angestaut hat. Dass er artikuliert werden könne, sei eigentlicher Zweck der Regionalkonferenzen, heißt es: »Es geht darum, Dampf abzulassen«, sagt ein Vorständler - und zwar rechtzeitig vor einem für Mitte November angesetzten Parteitag, auf dem auch der Landesvorstand gewählt wird.
Bei der Vorbereitung eines entsprechenden Personalpakets und des Leitantrags werde indes jetzt »äußerst konstruktiv« zusammengearbeitet, heißt es. Landesgeschäftsführer Dudzak sagte, der Parteitag solle »unter Einbeziehung aller Akteure und Politikansätze gemeinsam und solidarisch« vorbereitet werden; darüber habe auf einem Kleinen Parteitag vorige Woche »große Einmütigkeit« bestanden.
Ein solcher Schulterschluss ist in Sachsens LINKE nicht selbstverständlich; vor zwei Jahren gab es Kampfkandidaturen um die Spitzenposten. Jetzt aber, sagt Dudzak, sollten bei der »inhaltlichen und personellen Neuaufstellung« alle Strömungen und Lager zusammenarbeiten. Die Lage, fügte er an, sei »so desaströs, dass wir gar keine andere Möglichkeit mehr haben«.
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