Ein Kompass für den Wandel

Der Gewerkschaftstag der IG Metall in Nürnberg steht ganz im Zeichen der Transformation

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Personell dürfte sich an der Spitze der IG Metall nichts ändern. So gilt die Wiederwahl des Ersten Vorsitzenden Jörg Hofmann, der Zweiten Vorsitzenden Christiane Benner sowie der fünf weiteren Mitglieder des geschäftsführenden Vorstands beim am Sonntag beginnenden Gewerkschaftstag in Nürnberg als sicher. Auch die Besuche von DGB-Chef, Kanzlerin, Arbeitsminister, Parteienvertretern und internationalen Gästen sowie Rechenschaftsdebatte und Antragsberatung gehören zum üblichen Prozedere eines Gewerkschaftstages, der alle vier Jahre zusammentritt. Doch inhaltlich dürfte die kommende Woche für die rund 400 Delegierten keine Routineveranstaltung wie in früheren, relativ ruhigen Zeiten werden.

Gleich mehrere Herausforderungen überschatten den Gewerkschaftstag der mit Abstand mitgliederstärksten DGB-Gewerkschaft. So streiken die Beschäftigten des Stahlkonzerns Riva in Trier und Horath bereits seit nunmehr 17 Wochen für einen Tarifvertrag. Bei Fahrzeugkonzernen und Autozulieferern droht ein massiver Beschäftigungsabbau, Opel hat Kurzarbeit angekündigt. Damit befindet sich ein Schlüsselsektor der bundesdeutschen Wirtschaft in der Krise, der als Hochburg der IG Metall gilt. In dieser Woche gingen auch Beschäftigte der Dillinger Hütte im Saarland auf die Straße, die einen Kahlschlag in der deutschen Stahlindustrie und eine Deindustrialisierung ihres Bundeslandes befürchten. Gleichzeitig platzten in Berlin die Verhandlungen über die 35-Stunden-Woche für die ostdeutsche Metall- und Elektroindustrie. Hier stehen nun »Häuserkämpfe« für Haustarifverträge an. Dass 30 Jahre nach dem Mauerfall in Ost-Betrieben immer noch offiziell 38 Stunden gearbeitet wird, während im Westen seit Mitte der 1990er Jahre die 35 im Tarifvertrag steht, wird als krasses Unrecht empfunden und setzt die IG Metall unter Zugzwang. Unterdessen drängt das Arbeitgeberlager auf tarifpolitische Rückschritte. So drohte Gesamtmetall-Chef Rainer Dulger bereits mit einem Ende des Flächentarifs für rund vier Millionen Beschäftigte im Organisationsbereich der IG Metall.

Über all diesen Hiobsbotschaften schwebt die Prognose, dass der Transformationsprozess in der Industrie durch die Digitalisierung sowie die Klima- und Mobilitätswende zunächst viele Arbeitsplätze kosten wird. Im Rahmen eines »sozial gerechten Umbaus« soll nach dem Willen der IG Metall ein »Transformationskurzarbeitergeld« die Betroffenen ohne Angst vor der Arbeitslosigkeit in einer Phase der Kurzarbeit und Qualifizierung auffangen. Die Gewerkschaft erhebt den Anspruch, die Transformation »mitzugestalten«, so dass sie sozial gerecht und demokratisch verläuft. Der Antrag »Projekt: Die IG Metall vom Betrieb aus denken« beschreibt dazu nötige Veränderungen für die gesamte Organisation. Außerdem wird der Gewerkschaftstag über ein »Manifest« mit dem Titel »Die IG Metall in einer neuen Zeit« beraten. Es soll zum »Kompass« für die Transformation werden.

Ein Blick in das 450 Seiten starke Antragsbuch bekräftigt den Ruf der IG Metall als diskussionsfreudige Organisation. Dem Kongress liegen insgesamt 793 Anträge aus den Untergliederungen vor, davon 45 Satzungsanträge und 748 politische Anträge inklusive Leitanträge und Entschließungen des Vorstands. Damit hat sich die Zahl der Anträge gegenüber dem letzten Kongress 2015 um knapp 300 gesteigert. Viele Antragsbegehren dürften unstrittig sein, andere könnten Debatten auslösen. So wird etwa ein umfassendes politisches Streikrecht gefordert, ein Begehren, das angesichts des jüngsten Klimastreiks der Fridays-for-Future-Bewegung erneut debattiert wird. Mehrere Anträge drängen auf ein stärkeres antimilitaristisches Profil der Gewerkschaft, die auch die Beschäftigten in Rüstungsbetrieben organisiert, fordern eine Überwindung von Hartz IV oder eine Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien, wie sie in der Satzung als Ziel der IG Metall festgehalten ist.

Dass Metallern in allen Ecken der Republik das Thema Renten auf den Nägeln brennt, zeigt die große Fülle von diesbezüglichen Anträgen. Einen nach Tarif entlohnten Facharbeiter erwartet nach 45 Arbeitsjahren eine gesetzliche Rente von rund 1300 Euro. Ohne Eigenheim kommt man da der Armutsschwelle ziemlich nahe.

Diesen Zustand hat der frühere IG Metall-Vizechef Walter Riester maßgeblich mitzuverantworten. Er trieb als Arbeitsminister unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder eine Absenkung der gesetzlichen Renten und die Privatisierung der Altersversorgung über eine kapitalgedeckte Zusatzrente zum Wohle von Banken und Versicherungen voran. Nun fordern viele Delegierten eine Stärkung und höhere Staatsfinanzierung der gesetzlichen Rente, eine Abkehr von der Rente mit 67, eine armutsvermeidende Mindestrente und eine Bürgerversicherung für alle Einkommensarten. Zu einer kontroversen Debatte könnte es um die Frage möglicher Tarifverträge über Betriebsrenten kommen, die den Schwankungen des Kapitalmarkts ausgesetzt sind.

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