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19 Tage Streik bei General Motors: Entschlossen durchzuhalten
Die Probleme am General-Motors-Streikposten in Langhorne sind die, die auch sonst in den USA viele beschäftigen
Der Streikposten ist schon von Weitem zu erkennen. Drei blaue Zeltdächer heben sich rechterhand von einer Grünfläche ab, wenn man am Cabot Boulevard hinunter fährt. «UAW streikt» heisst es rot-weiß auf Plakaten, die die Straße säumen, und «Wir unterstützen die Arbeiter, die gegen GM streiken». UAW steht für die Autoarbeitergewerkschaft United Auto Workers, GM für General Motors. Dahinter befindet sich das GM-Verteilzentrum von Langhorne, Pennsylvania. Von hier aus werden Autoteile der Marke an Händler im gesamten Nordosten der USA verteilt.
«Wir kümmern uns normalerweise um Teile, von Schraubenmuttern über Scheibenwischer bis zu Kühlerhauben», sagt Dave Greenhalgh. Aber seit dem 16. September wird auf einhelligen Beschluss hin gestreikt. Der Tarifvertrag war ausgelaufen, die Gewerkschaft und das Management des Autokonzerns konnten sich nicht einigen.
Deswegen sitzt Greenhalgh nun mit vier Kollegen entspannt in der herbstlichen Nachmittagssonne im Halbrund auf Campingstühlen. In der Mitte sind in einer metallenen Feuerstelle die Überreste des letzten Feuers zu sehen. Daran hat sich die Nachtschicht und die nächste in den frühen Morgenstunden gewärmt. Zwei weitere Paletten Brennholz stehen bereit, es gibt gekühlte Getränke in Eisbehältern und Donuts. Als der 58-Jährige vor fast vier Jahrzehnten hier anfing, bestand die Belegschaft von Langhorne aus 700 Kollegen, die für die Lagerung und Verschickung der GM-Autoteile sorgten. Das ist eine Ewigkeit her«, sagt Greenhalgh, »heute sind wir nicht mal mehr 100.«
Die gesamte Belegschaft im Werk von Langhorne streikt, die Schichtleiter nicht eingerechnet. 73 Beschäftigte, alle UAW-Mitglieder, teilen sich die Streikschichten auf, im Sechs-Stundentakt, Tag und Nacht rund um die Uhr. Das Distributionslager ist eines von 22. Insgesamt befinden sich 48.000 GM-Lohnarbeiter im Ausstand, die meisten im Norden und im Mittleren Westen, wo GM seine Hauptproduktionsstätten hat, in Ohio, Michigan und Indiana. Dort konzentrieren sich auch die 33 Produktionshallen.
Wochentags zur Nachmittagszeit hat die fünfköpfige Streikschicht nicht viel zu tun. Da sich der Mitarbeitereingang und der Werkparkplatz am Ende der Straße befinden, kommt kaum ein Auto vorbei. Trotzdem hat der Streikposten mehr als nur symbolischen Wert. »In jeder Streikschicht lernt man Kollegen näher kennen, die man bisher nur vom Sehen her kannte«, sagt Greenhalgh, »und man vergleicht.« Fast immer geht es dabei ums knappe Geld, um die Angst, die betriebliche Krankenversicherung oder gar den Arbeitsplatz zu verlieren. Für viele Lohnabhängige handelt es sich um die erste kollektive Streikerfahrung.
Die auf der Immobilien- und Finanzkrise basierende große Rezession von 2007 ließ auch General Motors abstürzen. Vor dem Bankrott bewahrt wurde das Unternehmen mit einer 51-Milliarden-Dollar-Überlebensspritze aus der Kasse der Obama-Regierung. Die Gewerkschaft ließ sich, so oder so von Mitgliederschwund und Machtverlust geplagt, eine Verzichtspolitik aufdrängen und stimmte einem dualen Beschäftigtensystem zu: neu eingestellte Arbeitskräfte bekommen nur die Hälfte des Lohnes und haben weniger Ansprüche auf betriebliche Sozialleistungen als die vor 2007 Eingestellten.
Dazu kommen Zeitarbeiter, die noch niedrigere Löhne erhalten und kaum mehr anspruchsberechtigt sind. »Das ist ein unhaltbarer Zustand«, sagt Greenhalgh, »wenn derjenige, der neben dir dieselben schweren Kisten schleppt, doppelt so viel verdient wie du, dann wirst du stinksauer.« GM, das ist seit Monaten bekannt, erzielte dagegen in den vergangenen drei Jahren Profit in Höhe von 35 Milliarden Dollar.
Kurz nach Beginn des Streiks eskalierte die GM-Leitung zudem den Streik. Ab sofort werde der Betrieb die Krankenversicherung und die Zahlungen für Behinderungen streichen, hieß es. Der Unmut darüber war groß unter den Streikenden. »Wir haben doch einen Kollegen mit Lungenkrebs hier, der in Chemo-Behandlung ist, außerdem zwei mit Gallensteinen, und was, wenn ein Notfall dazu kommt?«, fasst Greenhalgh die konkreten Auswirkungen des Management-Beschlusses vor Ort zusammen. Er ist im Werk in Langhorne der UAW-Vertreter für Renten und Gesundheit.
Was also tun? In Absprache mit Streikposten in anderen Bundesstaaten kam es zu zivilem Ungehorsam. In Langhorne stellten drei Streikende ihre PKWs auf die Fahrbahn. Als eine halbe Stunde später eine Polizeistreife eintraf, weigerte sich Greenhalgh umzuparken. Zwischen dem Hünen, der in seinen jungen Jahren halbprofessionell Football spielte, und zwei Beamten wurde es laut. Fast wäre es zu einem Handgemenge gekommen. Als ein Polizist die Handschellen auspackte, lenkte Greenhalgh ein.
Über die Szene berichtete ein lokaler Fernsehsender des Netzwerkes CBS. Ähnliches spielte sich im ganzen Land ab. Die Reaktion des Konzerns: am Tag darauf lenkte er ein und nahm seine Entscheidung mit Bedauern zurück. »Eskalation abgewehrt«, lächelt Greenhalgh. »Weißt du was«, fährt er nach einer Pause ernst fort, »General Motors hat sich total verkalkuliert. Denn wir sind fest entschlossen, das durchzuhalten. Wir hören nicht auf zu streiken, bis wir uns durchgesetzt haben.« Dieser Freitag ist der 19. Streiktag. Solange wurde bei General Motors seit zwei Jahrzehnten nicht mehr gestreikt.
Konkrete Forderungen, über die die UAW-Führung seit über zwei Wochen mit der GM-Geschäftsleitung verhandelt, sind nicht bekannt. Auch Greenhalgh erhält täglich nur ungenaue Nachrichten von der Gewerkschaft. Natürlich gehe es um »dringend gebotene Lohnerhöhungen«, weiß er, »um eine andere Einstellungspolitik, um bessere Arbeitsbedingungen und um die betriebliche Gesundheitsversorgung.« Seit 12 Jahren haben die GM-Mitarbeiter keine Lohnerhöhungen mehr erhalten.
»Es geht nicht nur um GM, sondern es geht um das ganze Land. Die Großunternehmen machen das große Geld und lassen davon nichts zu uns unten durchsickern. Dabei sind wir es ja, die die eigentliche Arbeit machen.« Neben den 35 Milliarden Profit, den GM machte, nennen die Arbeiter eine weitere Zahl: die GM-Chefin Mary Barra erhielt letztes Jahr 21,9 Millionen Dollar, das 218-fache eines GM-Durchschnittslohns.
John Jayne macht zum ersten Mal einen Streik mit. Auch er sitzt auf einem Campingstuhl. Er ist alleinerziehender Vater von Kindern im Alter von 13, 11 und 10 Jahren und kommt gerade so über die Runden. Der 36-Jährige bringt pro Woche um die 650 Dollar nach Hause. Die Hälfte davon geht für die Hypothek für den mobilen Trailer, in dem die vier leben, und die Grundstückspacht drauf. »Wir leben von der Hand in den Mund«, sagt er. Zum Glück sind er und die Kinder bislang gesund.
Nicht auszudenken, wenn die betriebliche Krankenversorgung, die für die ganze Familie gilt, wegfiele – »dann wäre unsere Existenz gefährdet«, klagt der Lagerarbeiter. Vor drei Jahren erlitt er aufgrund der Schwerarbeit einen Leistenbruch, dessen Behandlung der Betrieb abdeckte. »Meine Schicht beginnt entweder um 4 Uhr oder 6 Uhr morgens. Was die LKWs anliefern, begutachte und sortiere ich, um die Abladung zu organisieren. Eigentlich beuge ich mich den ganzen Tag lang, hebe Kisten auf und setze sie im Lager wieder ab«.
Schon nach zwei Wochen zehrt der Streik an den meisten. UAW zahlt jedem aus der Streikkasse pro Woche 250 Dollar. »Mit den Rechnungen bin ich jetzt schon hinterher«, klagt Jayne. Nächste Woche werde er die Bank anrufen und sie um Zahlungsaufschub für die Oktober-Hypothek bitten müssen. Doch zum Druck auf die Firma mittels Streik gebe es keine Alternative, sagt er.
Das Streikgeld macht nur die Hälfte bis ein Drittel des Üblichen, so oder so nicht überwältigenden Lohns aus. Die Unterstützung aus der »Community« ist den fünf Streikposten zufolge dagegen »überwältigend«.
Täglich bringen nicht nur Bekannte, sondern auch Delegationen anderer Gewerkschaften Essen und Trinken und immer wieder auch Geld vorbei. Ein Hotel, in fünf Minuten zu Fuß zu erreichen, lässt die Streikenden rund um die Uhr die Waschräume und Toiletten benutzen. Am ersten Samstag fanden sich 350 Menschen, darunter örtliche Politiker, zum Solidaritätsfest mit Musik und Grillen ein, wohlwollend begleitet von Medienvertretern.
Streikbrecher aus den eigenen Reihen erwarten Greenhalgh und Jayne nicht. Allerdings fahren jeden Morgen um vier Uhr die Schichtleiter, vor und begeben sich auf das Werksgelände. Von den nächtlichen Streikposten bewusst ignoriert. »Die merken sehr schnell, dass sie unsere harte Arbeit überhaupt nicht leisten können«, winkt er ab. Davon abgesehen hält die Streikpostenkette zu 100 Prozent.
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Wie zur Bestätigung der Unterstützung für den Streik verlangsamt ein brauner Lieferwagen des Transportunternehmens UPS das Tempo und hält an. Der Fahrer winkt, lächelt, ruft »Ich wünsche auch viel Glück, Jungs« und dreht in die entgegengesetzte Richtung wieder ab.
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