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Versöhner in einem unruhigen Land
Der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed erhält den Friedensnobelpreis
Addis Abeba. Dieser Mann verliert keine Zeit: Abiy Ahmed. Er versprach Versöhnung und legte ein Rekordtempo an den Tag. Seit seinem Amtsantritt am 2. April 2018 hat er Frieden mit dem einstigen Erzfeind Eritrea geschlossen, Tausende politische Gefangene freigelassen und verbotene Parteien wieder erlaubt. Am Freitag wurde dem 43-Jährigen dafür der Friedensnobelpreis zugesprochen.
Abiy gilt als Hoffnungsträger für ganz Afrika. Doch sein Versöhnungskurs ist zunehmend umstritten. Die Furcht wächst, dass statt Frieden Bürgerkrieg die Folge sein könnte. Denn die Gewalt im Vielvölkerstaat Äthiopien nimmt wieder zu - und richtet sich auch gegen den Regierungschef.
Versöhnung wurde Abiy bereits in die Wiege gelegt. Am 15. August 1976 wurde er in Beshasha, einer Kleinstadt im Zentrum des Landes geboren. Sein Vater: Ahmed Ali, ein Muslim aus der größten Ethnie, der Oromo, im Land. Die Mutter: Tezeta Wolde, orthodoxe Christin und Amharin, mithin Angehörige der zweitgrößten Volksgruppe. Wenn Abiy sagt, dass er verfeindete Ethnien und Religionsgruppen einen will, dann weiß er, wovon er spricht. Nicht nur in Oromo und Amharisch übrigens, sondern auch in Tigrinya, der Sprache der lange dominanten Ethnie im Norden, die Abiy aus Karrieregründen lernte.
1991 schloss sich Abiy der Demokratischen Oromo-Partei an, die als Teil der demokratisch-revolutionären Front (EPRDF) das Regime von Mengistu Haile Mariam stürzte. Abiy blieb danach beim tigrinisch dominierten Militär, arbeitete in der Spionage. Wohin Hass und Gewalt führen können, sah er 1995, als er nach dem Völkermord in Ruanda als Teil der UN-Blauhelmmission in Kigali stationiert wurde. Dessen ungeachtet kämpfte er im Krieg mit Eritrea zwischen 1998 und 2000. Seine Aufgabe war das Ausmachen feindlicher Stellungen.
Abiys Karriere verlief stromlinienförmig. Nach einem Informatik-Studium gründete er 2008 den äthiopischen Internetkontrolldienst INSA mit, der im Auftrag der immer autoritärer agierenden Regierung unter Ministerpräsident Meles Zenawi die eigenen Bürger überwachte. Bei den umstrittenen Wahlen von 2010, in denen die Opposition gerade einmal zwei der 547 Sitze zugesprochen bekam, zog er ins Parlament ein.
Dass der dreizehnte Sohn seines Vaters als Kind »Abiyot« gerufen wurde, Revolution, schien eine Ironie der Geschichte. Doch acht Jahre später - Kriegsheld Zenawi war gestorben und sein glückloser Nachfolger Hailemariam Desalegn abgetreten - schaffte Abiy überraschend den Sprung ins wichtigste Staatsamt. Dabei hatte bis zum Schluss niemand für möglich gehalten, dass das seit 1991 regierende EPRDF-Bündnis sich für einen Oromo an der Regierungsspitze entscheiden würde.
Doch Abiy traute die Partei mehrheitlich zu, die seit fast drei Jahren tobenden Unruhen in seiner Heimatregion zu beenden. Kurzfristig schien dies zu gelingen: Vor allem die jungen Äthiopier feierten ihn. Abiys Konterfei ist im ganzen Land auf Wänden, Bussen, T-Shirts zu sehen. Inzwischen aber ist die anfängliche Euphorie Ernüchterung gewichen, auch wegen der wachsenden Gewalt im Land.
105 Millionen Einwohner hat Äthiopien. Mehr als 1,5 Millionen von ihnen waren den UN zufolge im vergangenen Jahr auf der Flucht - so viele wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Inzwischen sollen die meisten von ihnen nach Regierungsangaben zurückgekehrt sein.
Abiy selbst hat in seiner kurzen Amtszeit schon zwei Attentate überlebt. Im Militär gibt es viele, die im autoritären Regime zu den Nutznießern gehörten. Mit der Aufdeckung millionenschwerer Korruptionsskandale und der Entlassung einst mächtiger Generäle hat Abiy sich viele Feinde geschaffen.
Doch auch Profiteure seiner Reformen wenden sich gegen ihn. Der von Abiy aus der Haft entlassene General Asaminew Tsige unternahm im Juni einen Staatsstreich. Die ebenfalls von Abiy rehabilitierte Oromische Befreiungsfront lieferte sich schwere Gefechte mit der Polizei.
Auch anderswo blüht der Separatismus: Mindestens elf Regionen wollen mehr Autonomie. In Amhara und Tigray werden angeblich paramilitärische Truppen ausgebildet, auch in Afar und der Somali-Region werden Minderheiten attackiert. Die Angst wächst, der Staat könnte im Bürgerkrieg versinken und auseinanderbrechen wie einst Jugoslawien.
Über den Erfolg von Abiys Reformkurs wird wohl auch das Schicksal der jungen Menschen auf dem Land entscheiden. Zwei Drittel der Gesamtbevölkerung sind unter 25, mindestens 30 Millionen sollen ohne Job sein. Der Rest arbeitet oft als Tagelöhner auf den Feldern oder im informellen Sektor der Städte, trotz überwiegend guter Ausbildung. Wenn es ihnen nicht bald deutlich besser geht, dürfte die Abiy-Mania bald vorbei sein. Versöhnung alleine macht nicht satt. epd/nd
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