Erdogans Kampf für den IS

Die türkische Invasion in Syrien hat zwei Gewinner - zunächst.

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 4 Min.

Einen Tag nach Beginn der Syrien-Invasion forderte Recep Tayyip Erdoğan »alle Individuen« dazu auf, seiner Partei beizutreten. In der Tat hätte sich der türkische Präsident keine bessere Werbeaktion einfallen lassen können als den Krieg in Syrien. Zuvor hatte er mit gleich drei Übeln zu kämpfen: Sein ultranationalistischer Bundesgenosse Devlet Bahçeli ist schwer erkrankt, und es ist unklar, ob er auf die politische Bühne zurückkehren wird. Ein Teil der von Bahçeli geführten MHP könnte zur Opposition überlaufen, wo sich schon deren Parteiabspaltung, die IYI, befindet. Dazu sind der ehemalige Ministerpräsident Beschreibung Ahmet Davutoğlu und der ehemalige Wirtschaftsminister Ali Babacan aus Erdoğans AKP ausgetreten und wollen eigene Parteien gründen. Bei den Kommunalwahlen im Frühjahr verlor Erdoğan Istanbul und Ankara. Das ging nur, weil die Opposition zusammengearbeitet hatte.

Nationalistische Wähler dürfte Erdoğan nun an seine Partei gebunden haben. Die Gefahr, dass ihm die geplanten Neugründungen Wähler abnehmen, ist vermindert. Vor allem hat die sozialdemokratische, aber immer auch national ausgerichtete CHP nach manchen Verrenkungen, Warnungen vor dem syrischen »Sumpf« und öffentlich zur Schau gestelltem inneren Leiden der Verlängerung des Mandats für Auslandseinsätze zugestimmt. Damit konnte die Invasion beginnen. Dass kurdische Wähler der CHP noch einmal zu Erfolgen wie in Istanbul verhelfen, dürfte für die nächsten Jahre ausgeschlossen sein. Damit steht Erdoğan als Gewinner des Syrien-Feldzuges fest, es sei denn, er erlebt ein militärisches Desaster, das sich nicht kaschieren lässt, wovon angesichts der Kräfteverhältnisse niemand ausgeht. Dem türkischen Militär wurde die Sache auch dadurch erleichtert, dass die Kurden im August auf Drängen der USA Befestigungen an der Grenze abgebaut und Tunnel zugeschüttet haben. Diese Deeskalationsmaßnahme wirkt nun nachträglich wie eine Einladung zur Invasion.

Der zweite Gewinner ist ebenso sicher der Islamische Staat (IS). Nach Beginn der Invasion mussten die kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) den Kampf gegen die Überreste des IS praktisch einstellen. Noch immer gibt es versprengte IS-Gruppen und Schläfer in Syrien und im benachbarten Irak. Diese dürften nun Morgenluft wittern. Ein noch größeres Problem sind die gefangenen IS-Kämpfer. Die Kurden bewachen in sieben Gefängnissen insgesamt 12 000 IS-Kämpfer. Dazu kommen deren Frauen und Kinder, die in großen Lagern untergebracht sind.

US-Präsident Donald Trump hat sich von Erdoğan die Übernahme der IS-Gefangenen versprechen lassen. Es ist aber völlig schleierhaft, wie die eine Kriegspartei von der anderen Gefangene übernehmen soll. Kommt hinzu, dass Erdoğan und seine Partei den IS nicht im gleichen Maße als Terroristen betrachten wie die Kurden. Erdoğan vermied es lange Zeit vom IS als eine Gruppe von Terroristen zu sprechen. Belegt ist zudem, dass der türkische Geheimdienst den IS in Syrien zeitweise mit Waffen belieferte.

Aber selbst wenn die Türkei es mit der Übernahme der Gefangenen ernst meint, wäre sie dazu kaum in der Lage - zumal sie nach dem Feldzug wohl Tausende gefangene Kurden hätten, die alle von der Türkei als Terroristen angesehen. Die Unterbringung all dieser Gefangenen dürfte die Türkei an ihre Grenzen bringen, ganz zu schweigen von Prozessen gegen sie. Wahrscheinlich wird die Türkei versuchen, sie möglichst unauffällig laufen zu lassen, falls sie nicht schon während der Kämpfe entkommen können.

Wie wenig Interesse Erdoğan an der Verfolgung islamistischer Terroristen hatte, konnte man im Jahr 2011 sehen, als die Regierung plötzlich ein Gesetz über die Länge der U-Haft einführte. Das Gesetz war passgenau für die Entlassung von 20 Mitgliedern der kurdisch-türkischen Hizbullah geschrieben, gegen die endlos wegen zahlreicher besonders grausamer Morde prozessiert wurde. Für andere Gefangene spielte das Gesetz keine Rolle.

Wahrscheinliche Folge der Invasion wird zudem sein, dass sich die Kurden dem syrischen Regime unterstellen. Doch Damaskus verweigert ernste Gespräche, so lange noch eine Beziehung der Kurden zu den USA besteht. Mindestens so lange wird auch Moskau die Invasion unterstützen. Russland hat gemeinsam mit den USA eine Verurteilung der Invasion durch den Sicherheitsrat verhindert. Die Angriffe von Regierungstruppen und russischer Luftwaffe auf das Rebellengebiet von Idlib wurden urplötzlich gestoppt. Aus Idlib kommt ein Teil der syrischen Söldner, die die Türkei nun gegen die Kurden einsetzt. Offenbar verfolgen Moskau und Damaskus das Ziel, die USA aus Syrien ganz zu vertreiben und zugleich die mächtige kurdische Miliz unter Kontrolle zu bringen. Doch dann wird Assad ein anderes Problem haben: Wie wird er Erdogan und seine syrischen Milizen wieder los?

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