Protest gegen Gleichsetzung

Buchenwald-Komitee wendet sich gegen Resolution des Europaparlaments zum Umgang mit der Geschichte »totalitaristischer« Regime

  • Lesedauer: 3 Min.

Am 19. September hat das Europaparlament eine Resolution unter dem unverfänglichen Titel »Bedeutung der Erinnerung an die europäische Vergangenheit für die Zukunft Europas« verabschiedet. Darin wird allerdings Russland nicht etwa als größtes Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten benannt. Dass die Sowjetunion den Löwenanteil am Sieg über die faschistische Wehrmacht hatte und dass Millionen ihrer Soldaten im Kampf gegen die Nazis ihr Leben ließen, wird nicht erwähnt. Vielmehr wird der »kommunistische Totalitarismus« quasi als Kriegsverursacher bezeichnet.

Seither haben etliche Verbände antifaschistischer Widerstandskämpfer und linke Organisationen gegen die vom Europaparlament betriebene Geschichtsklitterung und gegen die Gleichsetzung von Faschismus und Stalinismus protestiert. Jetzt hat sich auch das Internationale Komitee Buchenwald Dora (ICBD) dazu geäußert. In einer Erklärung, die »nd« vorliegt, heißt es, man lehne den Text als eine »unerträgliche Beleidigung der Opfer des Faschismus und des Nazismus« und all jener, die »für ein humanistisches Europa gekämpft haben, radikal ab«. »Hitler-Nazismus« und »Stalin-Kommunismus« dürften keineswegs auf eine Stufe gestellt werden, mahnt das IKBD.

Das Komitee erinnert daran, dass deutsche Kommunisten zu den »allerersten KZ-Häftlingen gehörten«. Ihr Andenken müsse bewahrt werden. Das IKBD wendet sich gegen die Darstellung der Resolution, dass der als »Hitler-Stalin-Pakt« bekannte deutsch-sowjetische Vertrag der »Ursprung des Zweiten Weltkriegs« gewesen sei. Das Parlament blende zahlreiche »Kausalitäten«, Ereignisse und Verträge aus, die das Hitlerregime stärkten, darunter das Münchner Abkommen von 1938. Das Münchner Abkommen gilt als Höhepunkt der Appeasement-Politik Großbritanniens und Frankreichs gegenüber den Nazis. Der Vertrag zwischen Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien schrieb der Tschechoslowakei vor, das Sudetenland an das Deutsche Reich abzutreten, und zwar binnen zehn Tagen. Schon einen Tag nach Unterzeichnung marschierte die Wehrmacht dort ein.

Das Komitee erinnert in seiner Erklärung an den berühmten Satz Winston Churchills, der dem damaligen britischen Premier Neville Chamberlain mit Blick auf das Münchner Abkommen sagte: »Sie hatten die Wahl zwischen Krieg und Schande. Sie haben sich für die Schande entschieden und werden trotzdem den Krieg bekommen.«

Das IKBD moniert zudem, in der Resolution werde der Völkermord an den Sinti und Roma wie auch die Verfolgung von Homosexuellen ignoriert. Der rassistische und antisemitische Charakter der nazistischen Ideologie werde in dem Text ebenso verschleiert wie die millionenfache wirtschaftliche Ausbeutung von Männern, Frauen und Kindern aus ganz Europa als Zwangsarbeiter.

Im Europaparlament hatte die Linksfraktion GUE/NGL als einzige geschlossen gegen die Resolution gestimmt. Linksfraktionschef Martin Schirdewan hatte gegenüber »nd« kritisiert, mit dem Papier würden die »undemokratischen Verbote gegen kommunistische Parteien in einigen Mitgliedstaaten« gerechtfertigt. Es gehe den Initiatoren offenbar nicht zuletzt darum, »gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus zu diskreditieren«, so Schirdewan. nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.