- Kultur
- Wolf-Dieter Narr
Niemand soll herrschen
Auf Demonstrationen und Kundgebungen linker Bewegungen und Gruppen konnte man ihn stets zuverlässig finden, auch auf der alljährlich in Berlin stattfindenden »revolutionären 1.-Mai-Demonstration«: den Berliner Politikwissenschaftler und emeritierten Professor Wolf-Dieter Narr, der sich selbst als in anarchistischer Tradition stehend begriff und über Jahre hinweg auch etwa für die anarchistische Monatszeitung »Graswurzelrevolution« als Autor tätig war.
Viele seiner Studentinnen und Studenten waren ihm zugetan, auch weil er als Beamter und Hochschulprofessor vom Prinzip der Herrschaftskritik nicht abließ. »Wer aus Gesprächen mit Wolf-Dieter kam, war irgendwie ein etwas anderer Mensch. Die Studierenden der ersten Semester am Otto-Suhr-Institut (OSI) für Politische Wissenschaft der Freien Universität (FU) waren fasziniert, obwohl sie den Reichtum des Universalgelehrten noch nicht so ganz erfassen konnten«, schreibt etwa der Sozialwissenschaftler Peter Grottian, ein langjähriger Weggefährte Narrs, in seinem Nachruf im »Tagesspiegel«.
Von 1971 bis 2002 lehrte Wolf-Dieter Narr als Professor für empirische Theorie der Politik an der FU Berlin. Bereits 1969 war er aus Protest gegen die erste Große Koalition aus der SPD ausgetreten. Zeit seines Lebens engagierte er sich gegen Atomkraft und Aufrüstung und für die bedingungslose Einhaltung der Menschenrechte. Und er stritt für die Friedensbewegung und die außerparlamentarische Linke. Zuletzt warb er verstärkt für die Aufnahme und menschenwürdige Behandlung von Flüchtlingen. Narr habe »vor den Zäunen des Abschiebeknasts in Worms« genauso gestanden »wie vor den Polizeiketten von Wackersdorf und Brokdorf«, so Peter Grottian. Und auch darüber hinaus fiel er nicht selten »durch kluge Reden« und »scharfsinnige Texte« (Götz Aly) auf. Seit über zwei Jahrzehnten litt der Politikwissenschaftler an einer Krankheit, die seine Bewegungsfähigkeit einschränkte und ihm mehr und mehr die Stimme nahm. Jetzt ist Wolf-Dieter Narr am 12. Oktober im Alter von 82 Jahren gestorben. Narr »war einer der großen kritischen Intellektuellen Nachkriegsdeutschlands«, heißt es auf der Webseite netzpolitik.org. tbl
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