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Hüpfen und Trällern
Radikales Erbauungskino für die deutschbürgerliche Mittelschicht: Das Filmmusical »Ich war noch niemals in New York«
Im oft buchdicken Presseheft, das bei Pressevorführungen kommender Kinofilme verteilt wird, werden die jeweiligen Filme üblicherweise in Interviews mit Regisseur und Schauspielern in den höchsten Tönen angepriesen.
Das ist für eine Filmbesprechung im Normalfall irrelevant, in dem vorliegenden Fall aber übernehmen die Verantwortlichen die Arbeit des Kritikers teilweise selbst, was durchaus bemerkenswert ist. Beispielsweise erklärt Regisseur Philipp Stölzl zu den Tanz- und Gesangseinlagen des Ensembles fast schon entschuldigend: »Aber natürlich wird aus einem Laien nicht in ein paar Monaten Fred Astaire. Wir haben deshalb geguckt, dass wir etwas machen, das nicht auf Perfektion setzt, sondern auf das Charmante im Unperfekten. Beim Gesang ist das bei manchen Spielern ähnlich, aber das ist lustigerweise für die Bindung des Zuschauers an die Figur förderlich, man denkt sich: So könnte ich das auch.« Ja, das denkt man sich.
Der deutsche Musical-Film »Ich war noch niemals in New York« ist eine Hommage an Udo Jürgens, den einst besten Freund der »Bild«-Zeitung (»Bild«: »Einer der größten Stars der Welt«), der Springers Hetzern schon mal Headlines lieferte wie »Schlager-Star Udo Jürgens mischt sich ein - Kriminelle Ausländer haben hier nichts zu suchen«.
Für die deutsche Nationalmannschaft sang Jürgens zur Fußball-WM 1990: »Und tanzt ein sexy Girl zur Nacht, dort wo die Spieler sind, dann macht der Trainer ganz schnell klar: ›Nein, hier läuft nichts mein Kind!‹« Aber sonst, wusste er, war bei den Fußballern in Sachen Frauen alles in Butter: »Spiele am Strand, schöne Mädchen zur Hand, Blicke, die sich versteh’n.« Solcherlei Ergüsse werden dankenswerterweise im Film zwar ausgespart, dafür muss man den Stalker- und Alte-Männer-Sabberhit »Siebzehn Jahr, blondes Haar« über sich ergehen lassen, spätestens hier wird das Ganze zu einer Bewährungsprobe für den Magen.
Ähnlich dem zugrunde liegenden gleichnamigen Musical strickt die Verfilmung um Udo-Jürgens-Hits wie »Griechischer Wein« oder »Vielen Dank für die Blumen« eine Geschichte, in der sich eine arrogante Fernsehmoderatorin (Heike Makatsch), deren Mutter (Katharina Thalbach), ein Maskenbildner (Michael Ostrowski), ein Professor (Moritz Bleibtreu) samt Sohn, ein homosexueller griechischer Schiffszauberer (Pasquale Aleardi) und ein stark alternder Gigolo (Uwe Ochsenknecht) auf einem Kreuzfahrtschiff mit Kurs auf New York wieder- und dort in verschiedenen Liebeskonstellationen zueinanderfinden. Diese Lovestorys sind indes bis zur Lächerlichkeit konstruiert und haben vor allem die Funktion, müde Gags hervorzubringen. Der Zuschauer wird etwa mit einer ellenlangen Szene gequält, in der Makatsch und Bleibtreu widerwillig in einer Zauberkiste aneinandergedrückt auf ihre Befreiung warten und sich dabei - Witz komm raus - »näherkommen«. Gleichzeitig verlieben sich noch der Seniorgigolo und die Moderatorinnenmutter - was sich als der unplausibelste Handlungsstrang herausstellt, denn was an dem Machotrottel auf die Frau anziehend wirken könnte, bleibt unergründlich.
Wenn man etwas Positives über den Film sagen will, dann noch am ehesten, dass er sich mit der Schwierigkeit homosexueller Coming-outs auseinandersetzt. Die so ausgestellte Toleranz und Liberalität bleibt aber Alibi einer ansonsten borniert bürgerlichen Szenerie, die exakt das Wirken des Vorlagengebers Udo Jürgens repräsentiert. So ist der Text des Titelsongs ja keineswegs als Aufforderung zu Widerstand und Ausbruch aus dem trüben Leben des Spießbürgers zu lesen. Im Gegenteil bleibt die Idee des Mannes, der nur kurz Zigaretten holen geht und sich dabei überlegt, dass er doch aus seinem »nach Bohnerwachs und Spießigkeit« riechenden Leben, das er als »Enge« erlebt, ausbrechen könnte, indem er einfach einen Flug bucht und verschwindet, eben nur eine Idee. Er kehrt stattdessen mit einem Achselzucken zu seiner Frau zurück, die derweil »nach der Kleinen« gesehen hat und mit ihren Zurufen (»Mann, wo bleibst du bloß? ›Dalli Dalli‹ geht gleich los!«) als die personifizierte »Enge« auftritt. Alle sind also an ihrem Platz in der öden Jürgens-Welt. Immerhin wirft die kleine Parabel doch zumindest die Frage auf, wie die Spießer (also das Jürgens-Publikum) mit dem ja tatsächlich vereinzelnden, vereinsamenden Kleinbürgerdasein umgehen sollen. Im Liedtext bleibt die Frage unbeantwortet, man rettet sich in Fernwehfantasien. Allerdings hat das Publikum in den Jahren nach Erscheinen des Schlagers im Massentourismus, im Reisen an die Sehnsuchtsorte die innerhalb der unüberwindlichen Zwänge einzige mögliche Antwort gefunden. Und der Film vollzieht das in jedem Schritt nach: Die kleine Freiheit, die den Monaden zusteht, finden sie in einer Kreuzfahrt. Dort treffen sie dann auf allerlei Exotisches: homosexuelle Griechen, alte Gigolos, vielleicht einen B-Promi oder ein kleines Abenteuer. Eben so wie die Spießerbande im Film, die sogar aufgrund verschiedener Verwicklungen auf echte Arbeiter trifft, die unter Deck leben und jeden Tag die Zimmer der tapferen Alltagsausbrecher putzen müssen, dafür abends aber die geileren Partys feiern - wie man sich das so vorstellt im Einfamilien-Reihenhaus bzw. im deutschen Regisseurköpfchen.
Besonders hübsch auch das kleine Gedankenspiel im Film, was wohl aus dem Zigaretten holenden Mann geworden wäre, wenn er sich doch auf den Weg zum Flughafen gemacht hätte: ein peinlicher Uwe-Ochsenknecht-Gigolo, der sich jeden Abend bei alten Damen auf einem Schiff als Berufsflirter verdingen müsste. Die verlassene Frau, die die Tochter hätte allein aufziehen müssen und dabei zielsicher ein dümmliches Aufschneider-Wrack produziert, trauert ihr Leben lang dem Flüchtigen nach, kommt fürderhin keinem anderen Mann mehr nahe und verliebt sich im Greisenalter in den Flüchtigen am Ende grundlos noch mal.
Nichts, was in diesem bis auf die Knochen deutschen Hüpf- und Trällerfilm nicht verkitscht, exotisiert oder romantisiert würde. »Ich war noch niemals in New York« ist radikales Erbauungskino für eine deutschbürgerliche Mittelschicht, die vor Selbstgerechtigkeit kaum mehr atmen kann, während sie über jeden Dreck, den sie produziert, so viel Pathos, Kitsch und Ideologie kübelt, bis endlich alles wieder nach Bohnerwachs (Was ist das eigentlich?) und Spießigkeit riecht. Merci, Udo!
»Ich war noch niemals in New York«, Deutschland 2019. Regie: Philipp Stölzl; Darsteller: Heike Makatsch, Moritz Bleibtreu, Katharina Thalbach, Uwe Ochsenknecht. 129 Min.
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