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Poetische Befeuerung
Preise für weiße männliche Europäer mit Rassismusproblem sind nichts Neues.
»Ich bin ein Schriftsteller, komme von Tolstoi, ich komme von Homer, ich komme von Cervantes, lasst mich in Frieden und stellt mir nicht solche Fragen.« Mit diesen Worten reagierte der diesjährige Literaturnobelpreisträger Peter Handke auf Journalisten, die mehr zu seiner Loyalität zum serbischen Diktator Slobodan Milošević wissen wollten. Ausgangspunkt »solcher Fragen« war die Kritik an Handke in der Dankesrede des Autors Saša Stanišić, der den deutschen Buchpreis für seinen Roman »Herkunft« erhielt.
Der Österreicher und Kärntner Slowene Peter Handke veröffentlicht seine Arbeit seit über 50 Jahren, sein Werk unterteilt der Literaturkritiker Helmut Böttiger in drei Phasen: Das Frühwerk Handkes sei »experimentell«, daraufhin folge die Entwicklung zum Bestsellerautor und Vertreter der deutschsprachigen Popliteratur. »Sein umstrittenes späteres Werk«, so Böttiger, charakterisiere »die Suche nach einer neuen poetischen Sprache«. Stellvertretend für dieses Spätwerk steht sein 1996 veröffentlichter Reisebericht »Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien«. Darin zeigt Handke seine »neue poetische Sprache« - derweil er den Genozid an den Bosniaken leugnet. Die diesjährige Stockholmer Nobelpreis-Jury wusste über den zentralen Wert, den der Rassismus in Handkes Werk spielt. Seinem Verleger Jochen Jung zufolge habe man in Stockholm schon in früheren Jahren darüber nachgedacht, Handke den Preis zu verleihen. Damals verhinderte aber Handkes Haltung zum Völkermord diesen Schritt.
Dass nach langem Hin und Her der weltweit renommierteste Literaturpreis dieses Jahr an einen weißen männlichen Europäer geht, der das »Poetische« mit einem weißen, christlichen Europa verbindet, ist jedoch in der Geschichte des Literaturnobelpreises nichts Neues. 1961 ging diese Auszeichnung zum Beispiel an den jugoslawischen Schriftsteller Ivo Andrić. Als Andrić 1939 Botschafter Jugoslawiens in Berlin war, schlug er schriftlich die Zwangsdeportation aller in Ex-Jugoslawien lebenden Albaner, der größten muslimischen Bevölkerung auf dem Balkan, in die Türkei vor. Unter den Umständen des Zweiten Weltkriegs gebe es dafür kein großes Hindernis mehr, schrieb er damals.
Was Peter Handke mit Ivo Andrić gemeinsam hat, ist vor allem diese hegemonial-koloniale Sicht auf die nicht-christliche und auch die nicht-slawische Bevölkerungen Ex-Jugoslawiens. Zudem zeigt dieser Vergleich Folgendes: Skandalös ist nicht nur, dass Peter Handke den Nobelpreis gewonnen hat. Skandalös ist vielmehr, dass der Literaturnobelpreis die eurozentrische Weltsicht eines ausschließlich weißen, (säkularisiert) christlichen Europas propagiert. In den USA ist dies als »White Supremacy«, Vorherrschaft der Weißen, bekannt; im europäischen Kontext ist es die Theorie des »grand remplacement«, eines großen Bevölkerungsaustausches - sprich: »Muslime« würden die demographische Mehrheit im »christlichen« Europa übernehmen, da sie zu viele Kinder auf die Welt brächten.
Für Albaner, die die serbischen Kriegsverbrechen in Kosovo überlebt haben, ist die Theorie des »grand remplacement« altbekannt: Die serbische politische Elite Ex-Jugoslawiens verbreitete über Jahrzehnte hinweg dieselbe Verschwörungstheorie: Die Albaner im Kosovo würden absichtlich viele Kinder zeugen, um »künstlich« eine absolute muslimische Bevölkerungsmehrheit in der damals ausgebeuteten jugoslawischen Provinz zu kreieren. Das, was auf die serbische Apartheid gegen Albaner in den 90er Jahren in Kosovo folgte, war kein Bürgerkrieg. Es war ein albanischer Kampf für die eigene Unabhängigkeit und gegen eine strukturelle Unterdrückung, die sich über das gesamte 20. Jahrhundert erstreckte. In diesem Krieg hätte Peter Handke wohl auch gerne mitgewirkt: »Manchmal wäre auch ich gern ein serbisch-orthodoxer Mönch, der für das Kosovo kämpft.« Das sagte er dem serbischen Fernsehen 1999, also während des Krieges und noch vor der NATO-Intervention gegen eine Politik, die vier Jahre zuvor einen Genozid an die Bosniaken in Bosnien und Herzegowina verübte.
Fehleinschätzungen passieren manchmal aus Unachtsamkeit, doch sie folgen häufig Dynamiken diskursiver Amnesie. Eine Illustration dessen ist die von vielen euro-atlantisch politisch linken Gruppierungen verurteilte NATO-Intervention zugunsten des Freiheitskampfes der Albaner Kosovos - auch Handke tat dies. Dieser globale Konsens basierte auf dem binären Dogma der Aufteilung der Welt in zwei Lager: die »böse« imperiale USA vs. die »Guten«, also die, die gegen die Vereinigten Staaten sind - in diesem Fall Serbien. Kriege zeigen jedoch, dass es mit diesem schematischen Weltverständnis häufig nicht getan ist, gerade wenn es sich um Dekolonisierungskriege handelt. Beim Krieg in Kosovo gab es beispielsweise verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Zielen. Das führte zu Konstellationen, die mit einem binären Weltverständnis kaum nachvollzogen werden können und zu nuancierten Einschätzungen einladen.
Diese Einschätzung des NATO-Einsatzes durch Handke, die auch von vielen extrem rechten Parteien europaweit geteilt wird, folgt der Logik der diskursiven Amnesie: die oft ignorierte strukturelle Diskriminierung gegen Muslime und nicht-slawische Bevölkerungsgruppen im Balkan. Hier sollten auch die Sinti und Roma genannt werden, die vor und nach den Kriegen in Diskriminierung und Prekarität lebten und leben.
Diese Amnesie hat der Nobelpreis für Literatur verstärkt, indem er schon zum zweiten Mal an einen Autor geht, dessen Werk auf einer epistemologischen Verachtung jener Bevölkerungsgruppen basiert. Mit Handke hat nicht nur ein Schriftsteller den weltweit renommiertesten Literaturpreis gewonnen, der in rassistischen Weltverständnissen »eine neue poetische Sprache« gefunden hat, sondern ebenfalls ein Autor, dessen Weltbild sexistisch ist. Zu der MeToo-Bewegung äußerte er sich 2018 wie folgt: »Ich kann es nicht mehr hören. Die Frauen, die da die Männer anflammen, und dann beschweren sie sich.« Dieses Männlichkeitsbild kann durchaus als toxisch bezeichnet werden.
Es sollte nicht unter den Teppich gekehrt werden, dass der Nobelpreis damit eine Literatur legitimiert, die ein antimuslimisches Weltbild teilt. Diese »poetische Sprache« des willentlichen Ausklammerns und Leugnens, die Peter Handke zum systematischen Ermorden von Muslimen durch seinen Freund Slobodan Milošević fand, zu dessen Beerdigung im Jahr 2006 er eine Grabrede hielt, ist ein Motiv, das verschiedene extrem rechte Terroranschläge auf der Welt in diesem Jahrzehnt befeuert.
Adem Ferizaj schreibt über kulturelle sowie politische Themen und lebt in München.
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