- Berlin
- Rechtsradikale
Augenzeuge wirft BVG-Security »faschistische Übergriffe« vor
Verkehrsunternehmen weißt Vorwürfe nach Prüfung der Videoaufzeichnung zurück
Eigentlich wollte er den Sonntagabend entspannt ausklingen lassen. Mit ein paar Freunden hatte sich Paul, der seinen Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen will, in der Nähe des U-Bahnhofs Schönleinstraße in Berlin-Kreuzberg zum Essen getroffen. Als sie nach Hause fahren wollen, kommt ihnen auf der Treppe ein etwa 50-jähriger aufgebrachter Mann auf Krücken entgegen. Auf dem Bahnsteig seien drei Sicherheitsmitarbeiter*innen der WISAG GmbH. Weil er einen Antifa-Aufnäher auf seiner Kleidung trage, hätten sie ihn nicht in die U-Bahn einsteigen lassen, berichtet der Mann Paul und seinen Freunden. »Er war völlig aufgelöst und hatte Angst«, erzählt Paul gegenüber »nd«. Die Securities hätten den Mann bereits einige Tage zuvor mit ihren Privathandys abfotografiert, so Paul.
Der junge Mann will die Sicherheitsmitarbeiter*innen daraufhin nach eigenen Angaben zur Rede stellen. Doch als er in den U-Bahnhof kommt, hätten diese bereits die nächste Person im Visier gehabt. Ein WISAG-Mitarbeiter habe einen Mann mit Gitarrenkoffer am Kragen gepackt und auch diesem einen Verweis für den U-Bahnhof erteilt, erklärt Paul. Auch auf dessen Instrumententasche soll sich ein anti-rassistischer Sticker befunden haben. Alles Zufall? Für Paul jedenfalls nicht. Gegenüber »nd« spricht der junge Mann von gezielt »faschistischen Übergriffen« durch die Mitarbeiter*innen der WISAG.
Bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) ist der mutmaßliche Vorfall am Montagnachmittag zunächst nicht bekannt, wie ein Pressesprecher gegenüber »nd« erklärt. Bei »auffälligen Vorkommnissen« müssten die Mitarbeiter*innen normalerweise ein Protokoll abgeben, so der Sprecher. Ein solches liege in diesem Fall jedoch nicht vor.
Auch bei dem Sicherheitsunternehmen WISAG, mit Sitz in Frankfurt am Main, weiß man nichts von dem mutmaßlichen Vorfall. Zu den Vorwürfen, bei der WISAG könnten Rechtsradikale als Sicherheitsmitarbeiter*innen beschäftigt sein, möchte sich eine Pressesprecherin gegenüber »nd« nicht äußern. Das Unternehmen prüfe den Fall aber nun.
WISAG nicht zum ersten Mal in der Kritik
In Berlin hat die BVG indes mit der Sichtung der Videos aus den Überwachungskameras im U-Bahnhof begonnen, so der Pressesprecher. Bis Redaktionsschluss konnte das Verkehrsunternehmen nach eigenen Angaben darauf allerdings nichts »Auffälliges« erkennen.
Dabei wäre der Vorfall an der Schönleinstraße nicht der Erste: Bereits im vergangenen November wurde ein Handy-Video vom Berliner Radiosender rbb veröffentlicht, in dem zu sehen ist, wie ein WISAG Mitarbeiter in einem Neuköllner U-Bahnhof einen Mann brutal ins Gesicht schlägt.
Ob es zu einer Aufklärung der Vorwürfe von Sonntag kommen wird, ist derzeit unklar. Für die BVG scheint die Überprüfung und Kontrolle ihrer eigenen Sicherheitsmitarbeiter*innen dabei nicht einfach zu sein. Generell sei für die Einstellung in den Sicherheitsdienst bei der BVG ein polizeiliches Führungszeugnis nötig, Bewerber*innen dürften nicht vorbestraft sein, so der Pressesprecher. »Ansonsten ist es aber nicht möglich, sie auf ihre politische Gesinnung zu prüfen.«
Für Paul stellt genau diese Tatsache ein Problem dar: »Solche Berufe ziehen besonders Menschen mit einem hohen Autoritäts- und Machtbedürfnis an.« Daneben sei das Ganze aber auch ein strukturelles Problem: denn von der Repression durch Sicherheitsdienste seien vor allem nicht-weiße Personen betroffen oder Menschen, die arm oder obdachlos sind.
Für die Zukunft wünscht Paul sich deshalb vor allem eins: »Ein couragierteres Eingreifen von weißen bürgerlichen Menschen, die von solchen Übergriffen durch das Sicherheitspersonal meist nicht betroffen sind«.
Update: Nach ausführlicher Prüfung des Videomaterials weißt die BVG die Vorwürfe am Dienstag zurück. Auf den Videos sei zu sehen, wie der Musiker von den Sicherheitsleuten angesprochen und nicht am Kragen gepackt wird. Körperliche Gewalt sei nicht ausgeübt worden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.