- Politik
- Bauernproteste
Traktoren verursachen Stau
Zehntausende gehen gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung auf die Straße
1000 Traktoren in Bayreuth, mehrere hundert in München, Rostock, Berlin, Würzburg, Leipzig und Erfurt sowie rund 4000 Teilnehmer*innen bei der zentralen Kundgebung vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium in Bonn: Bäuerinnen und Bauern des Netzwerks «Land schafft Verbindung» blockierten mit ihren Landmaschinen am Dienstag mehrere Städte. Die Landwirt*innen protestierten unter anderem gegen strengere Düngere-geln und gegen das geplante Insektenschutzprogramm der Bundesregierung. Zudem kritisierten sie das angekündigte EU-Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten, durch das sie einen Wettbewerbsnachteil befürchten. Zudem beklagen sie Mobbing gegen ihren Berufsstand.
Mit Straßenblockaden vor den Präfekturen haben auch Landwirt*innen in Frankreich am Dienstag demons-triert. Ihr Unmut richtet sich gegen neue Umweltauflagen, Vorgaben durch Handelsabkommen, verspätete EU-Zahlungen sowie die empfundene Missachtung des Berufsstands. Organisiert wurden die Proteste vor allem von der Agrarvereinigung FNSEA.
Ebenfalls in Frankreich und Deutschland protestierten mehrere hundert Demonstranten gegen die bisherige EU-Agrarpolitik: Sie forderten unter anderem ein anderes Agrarsystem: Subventionen sollen nur noch an Landwirt*innen gezahlt werden, die Umwelt und Klima schützen sowie Tiere artgerecht halten. Der Zug war von der deutschen Stadt Kehl in die Elsass-Metropole Straßburg gezogen. Zu der Demonstration hatte ein Bündnis von Landwirten, Tier- und Umweltschützern aufgerufen.
Im Zentrum beider Kritik stand Bundesagrarministerin Julia Klöckner. Den einen ist die CDU-Frau zu nah an der Agrarindustrie, andere fordern mehr Unterstützung für kleinbäuerliche Agrarstrukturen und höhere Umweltauflagen. Klöckner selbst verteidigte ihre Entscheidungen. Sie mute den Landwirt*innen Veränderung zu - aber es gebe auch finanzielle Unterstützung. «Wir sind an der Seite der Bauern, aber auch an der Seite der Verbraucherinnen und Verbraucher.» Es gebe «gesellschaftliche Erwartungen», etwa bei sauberem Grundwasser, sagte die Ministerin.
Ebenfalls in der Kritik steht Umweltministerin Sonja Schulze. Die SPD-Politikerin wies die Anschuldigungen am Dienstag zurück und verwies auf die dramatisch sinkende Zahl der Feldvögel.
Die Opposition im Bundestag sieht die Proteste als Folge einer «jahrzehntelang verfehlten Agrarpolitik», so der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Diese habe dafür gesorgt, dass die Kluft zwischen der industriellen Landwirtschaft und der Gesellschaft immer größer geworden sei.
Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, spricht von einer «Sackgasse». «Die strategische Ausrichtung der Landwirtschaft auf möglichst billige Rohstofflieferung für den globalisierten Weltagrarmarkt hat verheerende Folgen für Mensch und Natur», so Tackmann. «Die Zeche für diese falsche Agrarstrategie zahlen allzu oft die erzeugenden Agrarbetriebe selbst.» Ein «Weiter-so» helfe aber weder der Gesellschaft noch der Landwirtschaft. Tackmann unterstützt die Ziele des Agrarpakets, hält aber die Umsetzung für mangelhaft. «Höhere Standards, um mehr für Biodiversität, Natur-, Gewässer- und Tierschutz zu erreichen, müssen für die Betriebe leistbar sein.»
Auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace führt die Bauernproteste auf eine «seit Jahrzehnten fehlgeleitete Agrarpolitik» zurück. Der Grundsatz «Wachse oder weiche» habe die Mehrzahl der bäuerlichen Familienbetriebe seit den 1970er Jahren in den Ruin getrieben, erklärte Landwirtschaftsexperte Martin Hof-stetter am Dienstag. «Ein desaströser Kurs, den der Deutsche Bauernverband mit seiner Lobbyarbeit aktiv unterstützt hat.»
Für Axel Mayer, BUND-Geschäftsführer aus Freiburg, sind die bundesweiten Kundgebungen «der verzweifelte Wunsch nach Beibehaltung des Status quo, und das heißt Agrargifte, Glyphosat, Massentierhaltung, Insektenvergiftung, Vogelsterben, CO2-Belastung, Nitrat im Grundwasser und gleichzeitig auch Bauernsterben.» Ein Weitermachen wie bisher zerstöre nicht nur die Artenvielfalt. Es bringe das politisch gewollte kurz- und mittelfristige Ende aller kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betriebe.«
Mehrere Initiativen sprachen sich für eine Landwirtschaftskommission aus. Tackmann forderte ein neues Agrarleitbild. »Dafür werden die Agrarbetriebe als Verbündete gebraucht.« Nur in einem offenen Dialog auf Augenhöhe zwischen Agrarpolitik, Landwirtschaft und Gesellschaft könne neues Vertrauen geschaffen und könnten die Ziele schnellstmöglich erreicht werden.
Vor dem Thüringer Landtag wollen derweil am Donnerstag Bäuerinnen und Bauern der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft gemeinsam mit der Klimaschutzbewegung »Fridays for Future« demonstrieren. Die Aktion ist Teil eines bundesweiten Protesttages.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.