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Sind Crowdworker selbstständig?
Gericht verhandelt über Status digitaler Tagelöhner
Es ist ein wachsendes Geschäftsfeld im Internet: Sogenannte Crowdworking-Plattformen zerlegen Arbeiten von Firmen in Kleinstaufträge und vergeben sie an eine anonyme Masse im Netz, die Crowd. Das kann die Recherche von Adressen oder die Verschlagwortung von Texten und Bildern sein, aber auch das Testen von Produkten und Apps oder die Gestaltung von Webseiten und Programmierung sind möglich. Die Beschäftigten werden in diesem Dreiecksverhältnis als Solo-Selbstständige behandelt, das bedeutet, sie müssen für Krankheit und Alter selbst vorsorgen, haben keinen Kündigungsschutz, und wenn sie krank werden, kein Einkommen. Die Vorteile aus Unternehmenssicht liegen auf der Hand. Für die Mikrojobber sind sie mindestens durchwachsen. Sie mögen Flexibilität gewinnen, tragen aber eben auch sämtliche Risiken. Greift das Modell um sich, so warnen Gewerkschaften, drohe eine Abwärtsspirale insbesondere bei Vergütung, sozialer Absicherung und Mitbestimmung.
Erste Klage auf Festanstellung
Erstmals hat nun ein Crowdworker in Deutschland darauf geklagt, ein Angestellter der Internetfirma zu sein, die ihm die Jobs vermittelte. Der Mann Anfang 50 hat Fotos von Produkten in Tankstellen und Supermärkten angefertigt, damit Unternehmen ihre Warenpräsentation überprüfen können. Per App auf seinem Handy bekam er die Aufträge von einer Crowdworking-Plattform vermittelt. Gut ein Jahr lang arbeitete er rund 20 Stunden pro Woche für diese Firma und verdiente knapp 1700 Euro im Monat. Doch von einem Tag auf den anderen beendete die Plattform die Zusammenarbeit. Dagegen zog der Mann vor Gericht - er fühlte sich als fester Angestellter dieser Firma.
Das Arbeitsgericht München hatte den Mann abgewiesen. Er sei selbstständig tätig gewesen, befand es. Am Mittwoch verhandelte das Landesarbeitsgericht München über die Berufung. Eine Entscheidung lag bis Redaktionsschluss noch nicht vor. Bekäme der Mann in München Recht, würde das zwar nicht automatisch alle Crowdworker zu Arbeitnehmern machen. Doch könnte das Urteil die Debatte um das wachsende Heer digitaler Tagelöhner in der Plattformökonomie voranbringen.
Mindestschutz nötig
Arbeitsrechtler halten die Einordnung als Selbstständige jedenfalls keinesfalls für zwingend. Sie verweisen vielmehr auf die Abhängigkeit der Crowdworker von ihrem Auftraggeber. Die Gestaltungsfreiheit sei gering, die Arbeit werde vielmehr umfassend über Algorithmen gesteuert, überwacht und bewertet, echte Gehaltsverhandlungen fänden nicht statt. Sie plädieren daher ebenso wie Gewerkschaften dafür, den Arbeitnehmerbegriff weiterzuentwickeln und an die digitale Arbeitswelt anzupassen. In Frankreich etwa gibt es seit 2018 den Status »Arbeitnehmer, die eine elektronische Vermittlungsplattform nutzen«. Plattformbetreiber müssen nun für die einstigen Solo-Selbstständigen Sozialbeiträge abführen.
Ein anderer Ansatzpunkt wäre, Crowdworker gesetzlich als Heimarbeiter anzusehen, wodurch sie in den Genuss von Schutzvorschriften kämen, wie Entgeltfestsetzungen, Kündigungsfristen bis hin zu Urlaubsansprüchen und Absicherung bei Krankheit. Aber auch ohne eine Neubewertung des Beschäftigtenstatus wäre es denkbar, Plattformarbeitern gesetzlich einen Mindestschutz zu gewähren.
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