Rio Reiser statt Heinrich von Preußen

Berlin-Kreuzberg will den Musiker mit einem Platz ehren.

  • Paula Balov
  • Lesedauer: 5 Min.

Kreuzberg hat gesprochen: Der Heinrichplatz wird wahrscheinlich bald Rio-Reiser-Platz heißen. Am Donnerstagabend hatte die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg zu einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung eingeladen. Wie soll Kreuzberg an den verstorbenen Sänger erinnern? So lautete die Frage. Mit knapp 70 Gästen war der Veranstaltungssaal Aquarium am Kottbusser Tor sehr gut besucht.

Gemeinsam mit den Gästen diskutierten die Fürsprecher*innen die verschiedenen Vorschläge. Neben dem Vorschlag zum Heinrichplatz war eine Idee, den Südzipfel des Mariannenplatzes umzubenennen, der in Reisers berühmten »Rauch-Haus-Song« erwähnt wird. Auch die Umbenennung des Uferwegs an der Lohmühleninsel, eine Gedenkinstallation oder der Vorschlag, die Grünanlage vor dem Kunsthaus Bethanien zum Rio-Reiser-Park zu erklären, standen zur Debatte. Neben der Grünen-Politikerin und Kulturstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg Clara Herrmann hatten sich auch Gert C. Möbius, der Bruder von Rio Reiser, und Kai Sichtermann, Bassist und Gründungsmitglied der Band Ton Steine Scherben, mit Redebeiträgen beteiligt.

Einige Gäste brachten spontan neue Ideen ein, zum Beispiel die Umbenennung des Moritzplatzes. Dann würde sich der Name des Musikers sogar auf den Berliner U-Bahn-Netzplänen wiederfinden. Bei der abschließenden Abstimmung konnte sich der Heinrichplatz jedoch mit 38 Stimmen und einer eindeutigen Mehrheit durchsetzen.

Dieses Ergebnis bildet die Grundlage für die kommende Abstimmung der Bezirksverordnetenversammlung. Werner Heck, der Vorsitzende des Kulturausschusses, wird die Umbenennung des Heinrichplatzes als Empfehlung an die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) herantragen. Das Bezirksparlament hatte bereits 2017 beschlossen, Rio Reisers im Kreuzberger Straßenland zu gedenken. Der LINKE-Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser hatte das Anliegen auch in seinem Wahlkampf 2017 thematisiert. Die Frage nach dem Wie wollten die Bezirksverordneten allerdings gemeinsam mit Familienmitgliedern und Weggefährt*innen Rio Reisers sowie den Kiez-Bewohner*innen entscheiden. Ende 2018 ließ die BVV deswegen 5000 Kreuzberger*innen befragen, ob und wie an Rio Reiser erinnert werden solle. Mit einem Drittel Zustimmung war die Umbenennung des Heinrichplatzes damals schon der Favorit. Ein Viertel der Befragten bevorzugten den Mariannenplatz, 30 Prozent sprachen sich für eine andere Form des Gedenkens aus und 12 Prozent waren gegen eine Ehrung.

Für viele symbolisiert der Heinrichplatz das politische und künstlerische Wirken Rio Reisers. In der angrenzenden Oranienstraße kam die Band Ton Steine Scherben zu ihrem Namen. Hier, im SO36er Kiez, befand sich der politische Wirkungsbereich der Band. Vor allem hier waren die Politrocker in den 70er Jahren bei Demonstrationen aktiv und schrieben mit dem »Rauch-Haus-Song« die Hymne der Hausbesetzer*innenbewegung. Ohne diese Szene sähe Kreuzberg heute anders aus. Wo heute das kulturelle und linksalternative Herz Kreuzbergs schlägt, verliefe wahrscheinlich eine Stadtautobahn. Mit ihrem Protest haben Ton Steine Scherben ein Stück Stadtgeschichte mitgeprägt. Die Erinnerung an den General Heinrich von Preußen, nach dem der Heinrichplatz benannt ist, empfinden viele Fürsprecher*innen seiner Umbenennung zudem als nicht mehr zeitgemäß und politisch fragwürdig.

Kulturstadträtin Clara Herrmann hält es für »sportlich, aber machbar, wenn nichts dazwischen kommt, zum Beispiel Klagen«, dass innerhalb eines Jahres das Vorhaben umgesetzt wird. Da an den Heinrichplatz keine Wohnadressen geknüpft sind, ist mit wenigen Hürden zu rechnen. Im besten Fall könnte also schon nächstes Jahr, zum 50. Geburtstag der Scherben, der neue Rio-Reiser-Platz eingeweiht werden.

Die Initiative der BVV erntete allerdings nicht nur Lob. Einige Gäste äußerten die Befürchtung, ein Rio-Reiser-Platz könne Kreuzberg zusätzlich zum Magneten für Tourismus machen. Zudem wurde die Frage aufgeworfen, ob der anarchistisch eingestellte Rio Reiser diese Form der staatlichen Anerkennung überhaupt gewollt hätte. Ein weiteres Problem sei, dass mit Rio Reiser schon wieder ein Mann im Berliner Stadtbild geehrt wird. Seit 2005 gilt in Friedrichshain-Kreuzberg eigentlich die Regel, dass bei Umbenennung von Straßen und Plätzen nur noch Frauen infrage kommen sollen. Clara Herrmann merkt dazu an, dass nicht nur Frauen in der Berliner Erinnerungskultur unterrepräsentiert seien, sondern auch LGBTI-Personen: »Es ist im Sinne der Diversität, an Rio Reiser zu erinnern. Für ihn war das Schwulsein in den 70ern selbstverständlich, während es in vielen Teilen der Gesellschaft und auch in der linken Szene noch lange nicht als gängig galt.«

Rio Reiser hatte schließlich nicht nur Kreuzberg, sondern auch queere Geschichte geprägt. Bis Ende der 70er Jahre arbeiteten die Scherben mit der schwulen Theatergruppe »Brühwarm« zusammen - daraus gingen die Alben »Mannstoll« und »Entartet« hervor. Es gibt auch kritische Stimmen, immerhin hatte Reiser auch sexuelle Kontakte zu Minderjährigen.

Zum Ende der Veranstaltung wurde abgestimmt, ob zusätzlich zur Umbenennung des Heinrichplatzes auch eine Gedenkinstallation errichtet werden soll. Die große Mehrheit begrüßte den Vorschlag.

Sema Binia, Mitglied im Verein Berliner Geschichtswerkstatt, präsentierte die Idee, eine multimediale Installation zu errichten, mit Klangbeispielen und einem aus Ton, Steinen und Scherben gefertigten Schriftzug des Songtitels »Mein Name ist Mensch«. Dieser Satz solle in alle Sprachen übersetzt werden, die in Kreuzberg gesprochen werden, und so die multikulturelle Prägung des Bezirks unterstreichen. Die Realisierung dieses Konzepts wird allerdings weitaus mehr Zeit beanspruchen als die Umbenennung eines Platzes. Vielversprechend an dem ambitionierten Projekt ist allerdings, dass es die Erinnerung an Rio Reiser lebendig und erfahrbar macht. Letztlich ist es das, worum es in der Erinnerungskultur gehen sollte. Mit den Worten von Kai Sichtermann: »Wenn wir nicht lernen, unseren Platz in den Geschichtsbüchern und im öffentlichen Raum zu erkämpfen, dann werden den nachfolgenden Generationen Vorbilder für den couragierten Kampf um Freiheit, Vielfalt und Gerechtigkeit fehlen.«

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