Fehler bei Ermittlungen zu rechten Anschlägen

Innenausschuss bespricht den Umgang der Polizei mit Vorfällen in Neukölln - das soll erst der Anfang sein

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 3 Min.

Betroffene der rechten Anschlagserie in Neukölln fordern seit Mai eine Untersuchung im Abgeordnetenhaus. Die gibt es jetzt, aber nicht in einem extra Untersuchungsausschuss. Am Montag diskutierte lediglich der Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses das Thema.

»Ich verurteile diese Anschläge aufs Schärfste«, macht Innensenator Andreas Geisel (SPD) klar. Der Umgang mit den Betroffenen sei »nicht optimal« gelaufen. Dennoch habe man viele Maßnahmen umgesetzt. Es werden Ermittlungen der Polizei neu ausgewertet und der Generalbundesanwalt wurde gebeten, sich einzuschalten. Der lehnte das allerdings ab. Geisel bedauert das. Er wies an, dass der Schutz von Leib und Leben künftig wichtiger sein soll als der Quellenschutz. »Offenbar sind auch Fehler passiert«, räumt der stellvertretende Landeskriminalamtschef Oliver Stepien ein. In seinem Haus werden die Ermittlungen als nicht befriedigend bewertet, erklärt er. Dennoch verteidigt Stepien das Vorgehen der Polizei. Diese sei keineswegs untätig gewesen. So habe sie im Falle des Brandanschlags auf das Auto des Bezirkspolitikers Ferat Kocak (LINKE) ausreichend ermittelt, ihn jedoch nicht als gefährdet angesehen. Neonazis wurden abgehört, als sie den Anschlag planten. Reagiert wurde darauf nicht. Dabei wurde Kocaks Auto als eines von drei Fahrzeugen identifiziert, auf die es die Neonazis abgesehen haben könnten. Er sei nicht als potenzielles Opfer in Frage gekommen, da er sich nicht öffentlich antifaschistisch geäußert habe, heißt es zur Rechtfertigung.

»Diese Praxis finde ich beunruhigend«, sagt der Innenexperte der Linksfraktion, Niklas Schrader. Durch eine kurze Suche im Internet hätte man Kocak als mögliches Opfer ausmachen können. Schon vor dem Anschlag wurden Informationen zwischen Polizei und Verfassungsschutz ausgetauscht. »Das finde ich schon ein bisschen schockierend.« Einmal darüber reden ist nicht genug. »Da gibt es auch nach dieser Sitzung großen Aufklärungsbedarf«, meint Schrader. Die ungeklärten Vorgänge rund um die Ermittlungen und mögliche rechte Strukturen in der Polizei haben nach seiner Einschätzung einen Vertrauensverlust bewirkt. »Wir werden in der Koalition über Mittel der Aufklärung reden«, versichert Schrader. Die LINKE plädiert für einen Untersuchungsausschuss.

Die Mobile Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus stellte Mitte des Jahres eine Liste der verübten Anschläge zusammen. Seit 2016 wurden an 21 Tagen 55 Angriffe von Neonazis auf Antifaschisten gezählt, die Polizei nennt 63. Neben Bedrohungen durch Graffitis gab es Steinwürfe und andere Sachbeschädigungen. 14 Autos wurden angezündet und zwei Brandanschläge auf Häuser verübt. Experten machen immer den einen Täterkreis aus: Neonazis rund um den ehemaligen »Nationalen Widerstand Berlin«.

Die Opfer fühlen sich nicht ernstgenommen. Obwohl sich inzwischen der Innensenator mit ihnen traf und auch die Polizei Gespräche führte, fehlt das Vertrauen. »Alle Gespräche mit den Betroffenen machen nur Sinn, wenn sie Konsequenzen haben«, findet Sabine Seyb von »ReachOut«, der Beratungsstelle für Betroffene von rechter Gewalt. Die Gespräche ersetzen ihrer Ansicht nach auch keinen Untersuchungsausschuss. Viele der aufgeworfenen Fragen konnten im Innenausschuss nicht beantwortet werden. In der nächsten Sitzung soll es weitergehen, dann auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

»Das war erst der Anfang«, versichert der Abgeordnete Benedikt Lux (Grüne). Ende des Jahres sollen die Polizisten, die die Ermittlungen überprüfen, ihre Ergebnisse präsentieren. Geisel möchte dann weitersehen - und möglicherweise Externe zur Aufklärung hinzuziehen.

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