Angriff auf Thälmann

AfD veranlasst Umbenennung von Straße in Heidenau / Bürgerbegehren gestartet

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Sporthaus, eine Parfümerie, ein Friseursalon und die »Hirsch-Apotheke«: Die Ernst-Thälmann-Straße ist so etwas wie die Flaniermeile im 17 000 Einwohner zählenden Heidenau südlich von Sachsens Landeshauptstadt Dresden. Den Namen des 1944 im Konzentrationslager Buchenwald ermordeten KPD-Vorsitzenden trägt die gut 700 Meter lange Straße seit Jahrzehnten. Allerdings nicht mehr lange, wenn ein Beschluss der Mehrheit im Stadtrat Bestand hat. Dieser entschied in seiner Sitzung im Oktober, die Straße umzubenennen. Bereits im Januar soll sie nach dem Maler Woldemar Winkler benannt werden, der 1902 in einem Ortsteil Heidenaus geboren wurde, den Großteil seines Lebens aber in Gütersloh verbrachte.

Der Antrag zur Umbenennung der Ernst-Thälmann-Straße ist die erste nennenswerte Aktivität der AfD, die bei der Kommunalwahl im Mai in der Stadt stärkste Kraft wurde. Mit 6789 Stimmen und 29,5 Prozent errang sie sieben Mandate, stellt mangels Kandidaten aber nur fünf Abgeordnete im 22-köpfigen Rat. Zur Mehrheit für die Anti-Thälmann-Initiative verhalfen der AfD die Stimmen von FDP-Abgeordneten und aus der Bürgerinitiative »Oberes Elbtal«. Mit dem Linksbündnis aus LINKE, SPD und Grünen stimmten nur drei der sechs CDU-Abgeordneten dagegen; die anderen drei enthielten sich.

Zur Begründung des Antrags verweist die AfD auf Thälmanns Rolle beim »Hamburger Aufstand« im Oktober 1923 mit mehr als 100 Toten. Zudem wird eine Einschätzung aus dem Forschungsverbund »SED-Staat« zitiert, wonach der »KPD-Führer ein Gegner der Demokratie« war. Es gebe, heißt es in dem AfD-Antrag, »keinen ersichtlichen Grund«, warum die Straße seinen Namen tragen solle.

Nicht erwähnt wird Thälmanns Bedeutung für den antifaschistischen Widerstand - vermutlich aus guten Gründen. Chef der AfD-Ratsfraktion ist der 36-jährige Daniel Barthel. Er wurde nach Angaben des Antifa-Rechercheteams Dresden »in der Naziszene der Sächsischen Schweiz politisiert«. Verwiesen wird etwa auf Angriffe von Neonazis auf eine Solidaritätskundgebung für einen Dönerladen im Jahr 2000. Barthel sei Teil dieses »Nazi-Mobs« gewesen. Ein Foto von 2004 zeigt ihn als Teil eines rechten Aufmarschs gegen eine Antifademonstration in Pirna. Zu dessen Teilnehmern gehörten viele Mitglieder der 2001 verbotenen Kameradschaft »Skinheads Sächsische Schweiz«. Kurz danach habe Barthel anlässlich von Protesten gegen Naziläden in der Stadt eine Demo gegen die angebliche »Normalisierung linksradikaler Strukturen« in Pirna angemeldet. Dass Barthel den Vorstoß gegen die Thälmann-Straße mit »Abscheu vor Gewalt« begründet, sei »bemerkenswert«, erklärt das Rechercheteam; er sei in der Vergangenheit schließlich »selbst in handfeste Auseinandersetzungen involviert« gewesen.

In Heidenau stößt die geplante Umbenennung auf Widerstand, wenn auch nicht wegen der Vorgeschichte des Initiators. Viele Kritiker verweisen auf die Kosten, die den 450 Anwohnern und mehr als 60 Gewerbetreibenden entstünden. Der »Interessenverein Stadtzentrum«, der diese vertritt, zeigt sich »schlicht bestürzt« und attestiert der Ratsmehrheit einen »respektlosen Umgang« mit den Unternehmen. Man würde, heißt es in einer Erklärung, zudem »gern erfahren, welche Gründe die AfD bewogen, 30 Jahre nach der Wende eine solche Forderung« aufzustellen.

Nicht wenige Gegner der Umbenennung sehen diese indes auch als Angriff auf einen Vertreter des Widerstands in der NS-Zeit. »Die Opfer des Faschismus dürfen nicht zweimal ermordet werden«, war in den Kommentarspalten einer Petition gegen die Umbenennung zu lesen, die bisher 685 Unterschriften trägt. André Hahn, regionaler Abgeordneter der LINKEN im Bundestag, spricht von einem »absolut geschichtsvergessenen« Vorgang, der »angesichts der rechtsextremistischen Mordtaten der letzten Monate völlig absurd« sei.

In der Stadtgesellschaft gibt es nun Versuche, die Umbenennung noch zu stoppen. Seit Mittwoch werden auf Initiative des Linksbündnisses im Rat und des Händlervereins Unterschriften für ein Bürgerbegehren gesammelt. Rund 1500 Unterstützer wären nötig, um einen Bürgerentscheid, also eine Abstimmung über die Pläne, zu erzwingen. Die Hürde sei zu schaffen, glaubt LINKE-Politikerin Daniela Lobe, die bis Oktober im Stadtrat saß. Sie hält die Auseinandersetzung um die Thälmann-Straße für richtungweisend. In Heidenau seien viele weitere Straßen und Plätze nach Kommunisten, Sozialisten und Antifaschisten benannt. Auch dort drohten womöglich Umbenennungen. Aus Sicht der AfD, fürchtet Lobe, sei Thälmann »nur der Anfang«.

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