Das Zwölf-Euro-Problem

Auch in der CDU wird der Ruf nach einem höheren Mindestlohn lauter.

Linkspartei, SPD und seit letzter Woche auch die Grünen sind für einen Mindestlohn von 12 Euro. Selbst in der CDU wird der Druck größer, die gesetzliche Lohnuntergrenze von derzeit 9,19 Euro deutlich anzuheben. So hat es der Arbeitnehmerflügel CDA für den Parteitag in Leipzig beantragt und geht dabei mit der Mindestlohnkommission hart ins Gericht. Diese habe »ihren Job alles andere als gut gemacht«. Anstatt vorhandene Spielräume zur Erhöhung auszunutzen, habe sie sich »bereits in ihrer Geschäftsordnung darauf festgelegt, den Mindestlohn ausschließlich in Höhe des Tarifindex anzupassen«. Deshalb sei er seit seiner Einführung vor vier Jahren auch nur »um kümmerliche 69 Cent« gestiegen. Auf die »12« mag sich die CDA in ihrem Antrag zwar nicht festlegen, aber klar ist, mit den bisherigen Trippelschritten ist die organisierte Arbeitnehmerschaft der Christdemokraten unzufrieden. Gut möglich, dass der Antrag tatsächlich durchkommt. Vor einigen Jahren undenkbar, hat die Antragskommission des Parteitags den Delegierten die Annahme empfohlen. Das zeigt, wie sich die Stimmung verändert hat. Laut Umfragen sind 80 Prozent der Deutschen für einen Mindestlohn von 12 Euro, also auch viele CDU-Wähler. Darauf kann die CDA bauen.

Im nächsten Jahr soll das Mindestlohngesetz evaluiert werden, diese Gelegenheit wollen Kritiker der derzeitigen Konstruktion für Verbesserungen nutzen. Denn auch wenn vier Millionen Beschäftigte von seiner Einführung im Jahr 2015 profitiert haben, »armutsfest« ist der Mindestlohn auch mit der beschlossenen Anhebung auf 9,35 Euro ab 2020 nicht. Dafür sind aus heutiger Sicht eben mindestens 12 Euro notwendig, sagt Thorsten Schulten von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Für eine Rente oberhalb der Grundsicherung wären sogar eher 13 Euro nötig.

Spielräume für so einen Schritt eröffnet das Mindestlohngesetz schon jetzt. Auch wenn darin von »armutsfest« nicht die Rede ist, ermöglicht es doch, nicht allein die Tariflohnentwicklung, sondern auch eine Gesamtabwägung von sozialen und ökonomischen Faktoren bei der Mindestlohnanpassung zu Grunde zu legen, die bislang alle zwei Jahre stattfindet. Kaum bekannt ist hingegen, woran die CDA in ihrem Antrag rührt: dass sich die Mindestlohnkommission genau hier mit ihrer Geschäftsordnung blockiert. Die verlangt nämlich für die Abweichung vom Tarifindex eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der Kommission, die paritätisch mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie einem »neutralen« Vorsitzenden besetzt ist. Auch die Gewerkschaften haben dieser Regel seinerzeit zugestimmt, als Sicherheit, dass der Mindestlohn überhaupt regelmäßig an die Entwicklung der Tariflöhne gekoppelt wird. In der Praxis ist aus dieser Absicherung eine Fessel geworden, die größere Schritte verhindert. Nicht umsonst halten Unternehmer und Unionspolitiker wie Fraktionsvize Hermann Gröhe in der Debatte die Entscheidungshoheit der Kommission und die Tarifautonomie hoch und warnen vor einer »Politisierung« dieser Frage.

Dem DGB, der die Initiative der CDA zwar »begrüßt«, geht sie zugleich nicht weit genug. »Besser wäre aber, wenn die CDA auf dem Parteitag einen klaren Beschluss für 12 Euro Mindestlohn durchsetzen würde«, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell dem »nd«. Körzell, der der gescholtenen Mindestlohnkommission angehört, kann sich eine Retourkutsche denn auch nicht verkneifen: Der CDA-Vorsitzende Karl-Josef Laumann, Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen, so merkt er an, könne ja selbst »im bevölkerungsreichsten Bundesland einen Vergabemindestlohn von 12 Euro durchsetzen«.

Angesichts der Blockade innerhalb der Kommission dreht sich die Debatte nicht nur um die Höhe des Mindestlohns, sondern zunehmend um die Frage, wie eine größere Anhebung überhaupt umgesetzt werden kann. Die CDA fordert in ihrem Antrag die Kommission auf, sich eine neue Geschäftsordnung zu geben und die Spielräume zu nutzen. Zum 1. Januar werden die Mitglieder für die nächsten fünf Jahre neu berufen, dann müsste auch über die Spielregeln wieder verhandelt werden. Dennoch ist fraglich, wie aussichtsreich ein Appell an die Arbeitgeberseite ist. Deshalb wird der Ruf lauter, die Sache erneut politisch zu entscheiden. Die Evaluierung des Mindestlohngesetzes »sollte vom Gesetzgeber genutzt werden, um das Niveau auf 12 Euro anzuheben«, sagt Körzell. Danach soll die Kommission wieder übernehmen. Linkspartei und Grüne fordern das ebenfalls, auch Teile der SPD. Hat die CDA Erfolg, wird auch die Union noch einmal ihre strikte Linie überdenken müssen.

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