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Sie gingen - obwohl es ihnen gut ging

Jana Göbel und Matthias Meisner berichten über schwierige Wege aus der Deutschen Demokratischen Republik

  • Franziska Groß
  • Lesedauer: 4 Min.

«Gewartet wurde viel in der Deutschen Demokratischen Republik. Auf den Trabant, auf Ersatzteile, auf bestimmte Bücher - die Menschen waren Teil der sozialistischen Wartegemeinschaft. Eine Floskel mit bitterem Kern», bemerken Jana Göbel und Matthias Meisner eingangs. Denn: «Selbst wer das Land für immer verlassen wollte, musste auf seine Ausreise warten. Manchmal jahrelang.»

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Jana Göbel/Matthias Meisner (Hg.): Ständige Ausreise. Schwierige Wege aus der DDR. Ch. Links, 293 S., geb., 18 €.

Die Zahl derjenigen, die es, aus welchen Gründen auch immer, in der DDR nicht mehr aushielten, wuchs von Jahr zu Jahr. Die einen versuchten, das Land durch - zuweilen spektakuläre - Flucht zu verlassen, andere stellten einen «Antrag auf ständige Ausreise», wie es hieß. Nach Göbel/Meisner sollen dies 400 000 DDR-Bürger getan haben.

Göbel, 1962 in Ostberlin geboren, studierte Agrarökonomin, die 1991 die Journalistenschule in München absolvierte und für den Sender RBB recherchiert, sowie Meisner, 1961 in Frankfurt am Main geboren und Redakteur beim Berliner «Tagesspiegel», sammelten Erlebnisse und Erfahrungen von Menschen, die auf offiziellem Weg ausgereist sind. Teils nachdem ein vorheriger Fluchtversuch gescheitert war. Es sei jenen, so das Herausgeberduo, oft «schwergefallen, darüber zu sprechen». Sie haben auch seinerzeit kaum über ihr Vorhaben gesprochen. Andere diskutierten die Entscheidung «Gehen oder bleiben?» mit Verwandten und Freunden, vielfach tage- und nächtelang. Die Begründung der Autoren: «Es war eine schwere Entscheidung, denn es war aus damaliger Perspektive ein Abschied für immer. Niemand konnte ahnen, dass die DDR bald Geschichte sein würde.»

24 chronologisch sortierte Ausreisegeschichten werden in diesem Band geboten. Anfangs seien es vor allem politische Querdenker gewesen, «die das Land verlassen durften oder gar mussten». Doch mit den Jahren ergriff die Welle immer breitere Schichten der Bevölkerung. Unter den Antragstellern waren Ärzte, Facharbeiter, Handwerker, Lehrer und sogar Betriebsdirektoren.

Einige verloren nach Antragstellung ihre Arbeit, so eine Erfurter Lehrerin, die dann vier Jahre an einer HO-Ladenkasse saß, ehe sie schließlich in Westberlin wieder in ihrem Beruf arbeiten konnte. Junge Ausreisewillige wurden vom Studium exmatrikuliert, wieder andere versuchte die Stasi zu verpflichten, indem sie versprach, dass deren Ausreiseantrag dann schneller bearbeitet würde. Ausreisewillige wurden nicht selten von einem Tag auf den anderen von Kollegen, Nachbarn oder Familienmitgliedern gemieden. Wann die Bewilligung des Antrags erfolgen würde, war stets ungewiss. Kurios: Ein Berliner Ehepaar erfuhr am 9. November 1989 (sic), dass seine Ausreise genehmigt sei.

In seiner Einordnung «Die Überwindung der deutschen Teilung durch Flucht und Ausreise» betont der Berliner Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk: «Fast alle Ausreiseanträge sind begründet worden.» Mauern und Grenzen überwinden zu wollen, gehöre seit jeher zur menschlichen Geschichte, war gar Vorbedingung der Entwicklung der Menschheit. Gegenwärtig soll es laut UNHCR weltweit 70 Millionen Menschen auf der Flucht geben. Nur zwei Prozent machen sich nach Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich, Schweden, Griechenland oder in die USA auf.

Die BRD war in der DDR stets omnipräsent, «wirkte wie ein Dauermagnet», durch Fernseh- und Radiosender, Westgeld und millionenfache Familien- und Freundesbande. Um Wirtschafts- und Finanzhilfen aus der Bundesrepublik zu erhalten, lockerte die DDR-Führung die Genehmigungspraxis ab Mitte der 80er Jahre sukzessive. Es verdreifachte sich die Zahl der Rentnerreisen, was den Appetit der jüngeren DDR-Bürger steigerte. Erinnert wird hier an den Gag der «Taz» am 7. September 1987 zum Staatsbesuch von Erich Honecker in Bonn: Die Redaktion gestaltete eine dem «Neuen Deutschland» nachempfundene Titelseite, auf der in großen Lettern stand: «Erich, nimm uns mit!»

«Der Uwe wollte schon immer weg», erinnert sich dessen Zwillingsschwester Manuela. Im Dezember 1979 sah ihr Bruder das ZDF-Magazin «Hilferufe von drüben» und schrieb sogleich dem Moderator Gerhard Löwenthal, worauf er von der Stasi verhaftet wurde. Im März 1984 erhielt Uwe den Bescheid, innerhalb von zwei Stunden müsse er das Hoheitsgebiet der DDR verlassen.

Yorck Mäcke erfuhr erst im Cottbuser Gefängnis für Republikflüchtlinge, dass man einen Ausreiseantrag stellen könne. Familie Teglas wollte ausreisen, obwohl es ihnen gut ging, sie ein Haus und zwei Autos besaßen.

Jacqueline Boysen spricht von einer «Politik der offenen Arme» gegenüber den Flüchtlingen aus der DDR, die Staatsdoktrin in der Bundesrepublik gewesen sei. Doch nicht wenige BRD-Bürger befürchteten, die Übersiedler würden ihnen Arbeitsplätze und Wohnungen wegnehmen und die öffentlichen Haushalte belasten. Ein haltloser Vorwurf, wie wir ihn aus der aktuellen Flüchtlingsdebatte kennen. Zudem, so Boysen, standen ehemalige DDR-Bürger in der BRD unter dem Generalverdacht der Unterwanderung und Spionage: «Die Furcht vor feindlichen Geheimdienstmitarbeitern mag übertrieben gewesen sei - doch unbegründet war sie nicht.

Beachtenswert das abschließende aktuelle Essay von Andrea Dernbach, warum Menschen ihre Heimat verlassen.

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