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Gehen oder bleiben?
Nadine Schneider führt einprägsam leise ins Jahr 1989 in Rumänien
Kann man sich so etwas ausdenken? Die ganze Zeit hat man beim Lesen das Gefühl, die Autorin würde aus eigenem Erleben erzählen. Was aber nicht sein kann: Nadine Schneider wurde 1990 in Nürnberg geboren. Allerdings stammen ihre Eltern aus dem Banat. Ihnen hat sie auch ihr Buch gewidmet.
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Nadine Schneider: Drei Kilometer. Jung und Jung, 160 S., geb., 20 €.
Wie viel sie der Tochter aber auch erzählt haben mögen, es brauchte ihre Vorstellungskraft, ihre Kunst, den Sommer 1989 lebendig werden zu lassen, als eine junge Frau vor einer Gewissensentscheidung steht.
Was für ein gelungener Kunstgriff, diese Anna zur Ich-Erzählerin zu machen. Nur so konnte der Roman die Stimmung bekommen, in die man eintaucht und die man - ja, trotz des ernsten, bedrückenden Hintergrundes - genießt. Wenn man Anna auf der ersten Seite zusammen mit ihren Freunden Hans und Misch durch die Nacht radeln sieht, wüsste man ohne den Klappentext nicht, wo und wann die Geschichte spielt. Da aber sagt Hans: »Es gibt nicht mal mehr Butter.« Nur drei Kilometer durch ein Maisfeld wären es »bis zur Freiheit«. Fliehen - warum nicht gleich jetzt? Anna aber muss daran denken, wie es den Eltern gehen würde. »Und die Hunde? Würden sie sich nicht heiser bellen, wenn ich nicht Tag für Tag durch das quietschende Tor trat? Wie sollten ausgerechnet sie verstehen, warum ich weg war?«
Herta Müller stammt auch aus dem Banat. 1987 ist sie in die BRD ausgereist. Maßgeblich hat die Literaturnobelpreisträgerin weltweit das Bild von der Ceausescu-Diktatur geprägt. Nadine Schneider widerspricht ihr nicht, erzählt aber auf ihre Weise.
Gehen oder bleiben? So wie Anna zwischen zwei Männern steht, macht sie sich auch diese Entscheidung schwer. Der zunehmende Mangel (Ceausescu baute für die rumänische Unabhängigkeit mit aller Gewalt Schulden ab), die fehlenden Lebensperspektiven, die ideologische Indoktrination, die Überwachung durch den Geheimdienst - all das ist im Roman angesprochen. Vielleicht liegt es ja auch in der Mentalität eines Menschen, ob er darauf mit Hass oder mit Trauer reagiert, wie es Anna tut. »Man konnte niemandem vorwerfen, dass er frei sein wollte.« Die fortgingen, »waren nicht verantwortlich für die Leere, die nach ihrem Verschwinden die Häuser besetzte«. Seltsam eigentlich, wie eine junge Frau hier die Bindung an eine Welt beschwört, die vor ihrer Geburt zusammengebrochen und heute schon wieder ganz anders ist.
Mit der Maisernte ist eine Frist zur Flucht gesetzt. Es ist wie ein letzter Sommer, als »noch eine Leichtigkeit in den Dingen steckte«. Aber in jedem Satz ist diese Leichtigkeit von Schwere grundiert. Wir wissen, was dann kam.
Nicht daher rührt die Spannung zu erfahren, ob Anna geht oder nicht und was mit den beiden Männern wird. Die Spannung kommt aus ihrem Erzählen, das immer mehrere Schichten hat, aus der Zerrissenheit, die hier nicht lediglich ausgehalten, sondern als Wert erlebt wird. Und aus den lebendigen Bildern, die uns die Autorin in ihrer präzisen, subtilen Sprache vor Augen bringt.
Es ist ein so leises, empfindsames Buch, wie es womöglich nur in deutscher Sicherheit entstehen konnte. Die wird indes nicht verklärt. »In Deutschland wirst du auch nicht studieren können«, sagt Anna zu Hans. Der Angst, »wir würden nicht nur den Ort wechseln, sondern auch uns selbst«, wird widersprochen. Das Selbst soll unversehrt bleiben. »Trotzdem glaubte ich, ich müsste das Heimweh noch an meine Kinder vererben. Sie würden nachts von braunen Feldern träumen, auf denen im Spätsommer die braunen Sonnenblumen raschelten.«
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