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Bunter Vogel flieg

Diether Dehm über Rufmorde als Waffe gegen politische Gegner

  • Wolfgang Gehrcke und Christiane Reymann
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine graue Maus war Diether Dehm nie, zu einem bunten Vogel wurde er mit seiner Selbstbefreiung. Die schaffte er mittels eines tieferen Verständnisses von Gesellschaft als Klassengesellschaft, Kriegen als imperialistischen Kriegen, von kollektiver Gegenwehr, Solidarität - und Musik. All das half dem 1950 Geborenen auch, sich aus bedrückenden Familienverhältnissen mit einem gefürchteten, mit der NPD sympathisierenden Stiefvater zu befreien, der ihm in Erinnerung blieb »als Dreieckskopf mit Faustkeilnase und Riesenwolfsohren«, der ihn prügelte. Sein leiblicher Vater, Otto Dehm, war Arbeiter, Antimilitarist und ein bekannter Fußballspieler, später Spielerberater der BRD-Nationalmannschaft bei den Trainern Sepp Herberger und Helmut Schön. Der Sohn hat ihn geliebt.

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Diether Dehm: Meine schönsten Skandale. Von Ruf- und anderen Morden. Das Neue Berlin, 245 S., br., 20 €.

Diether Dehm hat in seinem Leben so ziemlich alles gemacht: Er war Rädelsführer der Frankfurter 68er-Schülerbewegung, Aktivist und Funktionsträger bei den Jusos, den Falken; er war Stadtrat im Frankfurter Rathaus, dem Römer, Bundestagsabgeordneter; er hat Künstler gemanagt und ein eigenes Musiklabel, ist Musiker und Mitinitiator so wirkungsmächtiger politischer Kultur wie »Rock gegen Rechts« oder »Künstler für den Frieden«. Er hat über 600 Lieder geschrieben, manchmal auch Reden für Willy Brandt, mehrere Romane, Musicals; er war stellvertretender Vorsitzender der PDS, und er kennt Gott und die Welt, ist Arm in Arm gegangen mit der Anti-Apartheid-Legende Nelson Mandela, dem jetzigen UNO-Generalsekretär António Guterres, hat mit Pete Sieger, Nina Hagen, Wolf Biermann, Karel Gott, Kati Witt, Franz-Josef Degenhardt und vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern zusammengearbeitet. Er hätte sich selbst bespiegeln und ein Skandalbuch schreiben können, das von bekannten Namen nur so trieft. Das hat er nicht getan.

Unter den »schönsten Skandalen« des DD ist nur einer so recht nach Art der Regenbogenpresse. Ein Autorenpaar (sie später »Taz«-Chefredakteurin, dann Leiterin des »Spiegel«-Kulturressorts; er Cheflektor des Fischer-Verlags) schreibt unter Pseudonym einen »Schlüsselroman«, dessen Hauptfigur nur Diether Dehm sein kann. Im Roman ermordet er eine Prostituierte und legt ihre Leiche vor der Lieblingskneipe von Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer ab. Die Autoren schicken die Druckfahnen dem Frankfurter SPD-Oberbürgermeister von Schoeler, der innerparteilich mit Diether Dehm auf Kriegsfuß steht. Von Schoeler wiederum leitet die Fahnen umgehend an die hessische »Bild«-Redaktion weiter. Die titelt: »Römer zittert: Enthüllungsgeschichte?«, es folgt: »Frankfurter Politiker ein Mörder?« und endlich im Klartext: »Sind Sie ein Mörder, Herr Dehm?« Ebendies hört seine Tochter, ein Kind noch, auf dem Schulhof und weint.

Jeder einzelne der »Skandale« ist so spannend wie erhellend beschrieben, ob es sich um die Stamokap-Jusos und SPD-Linken handelt (diese Abkürzung für Staatsmonopolitischen Kapitalismus mag DD übrigens nicht, sie klingt für ihn wie eine Kreuzung aus Gestapo und Stacheldraht), ob das Magazin »Forbes« und die damalige Rechtsaußen-CDU-Frontfrau und heutige Vorsitzende der AfD-Stiftung, Erika Steinbach, Dehm als Ostspion entlarven oder der Antifaschist Dehm von Kontrahenten, aber auch von seinen eigenen Genossinnen und Genossen plötzlich zu einem Antisemiten gemacht wird, um nur einige der zwölf beschriebenen Rufmorde zu nennen.

Die »schönsten Skandale« sind Skandalisierungen durch Medien im Verein, mit politischen Widersachern mit dem Ziel, systemkritische Kräfte, Individuen wie Gruppen oder Parteien, mundtot zu machen. Diese perfiden Kampagnen haben andere Menschen als den Autor zermürbt oder gar zerbrochen. Schon in der Schülerbewegung begannen Diether Dehms Freunde von den Jusos und aus dem antiautoritären Milieu wegen seiner »Techtelmechtel mit Kommunisten« unterschwellig ideologische Brandmauern gegen ihn zu errichten. »Ich wirkte auf die Leute wie ein Scheidewasser. Sie hassten oder mochten mich. Dazwischen gab es selten Grautöne.« So ist das bis heute. Und bis heute wird es ihm so gar nicht gerecht.

Diether Dehm verabscheut und bekämpft Antikommunismus. Aus Frankfurt am Main, »der Kernstadt des ›linken‹ Antikommunismus«, kommend, sah er dessen zerstörerische Wirkung. Dort versuchte die »Putztruppe« um Joschka Fischer, jegliche Aktion oder Veranstaltung mit realen oder vermuteten Kommunisten im Wortsinn zu zerschlagen. Dort erlebte er die immer unversöhnlicher werdenden innerparteilichen Auseinandersetzungen in der SPD (»SPD-Mitglieder wünschten einander in öffentlichen Sitzungen sogar den Tod«), in deren Ergebnis die Partei und ihr Umfeld, wie etwa die »Frankfurter Rundschau«, ein Schatten ihrer selbst wurden. Dass sich manche dieser Auseinandersetzungen in der PDS und der LINKEN wiederholen sollten, vermerkt er nur am Rande.

Dies ist ein Buch zur Geschichte der Linken im (West-) Deutschland der letzten 50 Jahre. Es entschlüsselt, wie die gesamte und einzelne Linke bekämpft werden. Und wie sie sich selbst behaupten können. Das alles erzählt und analysiert Diether Dehm in einer außergewöhnlichen Mischung von Erzählung und Analyse. Unbedingt lesenswert.

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