Kritische Bilanz zu drei Jahren Sammelabschiebung

Pro Asyl und Bayerischer Flüchtlingsrat: Afghanistan ist kein sicheres Land / Innenminister wollen »gefährliche Straftäter« nach Syrien zurückbringen

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 3 Min.

Scharfe Kritik an drei Jahren Sammelabschiebungen von Asylsuchenden nach Afghanistan äußerten am Donnerstag Pro Asyl und der Bayerische Flüchtlingsrat in München. »Afghanistan ist das unsicherste Land der Welt«, so Pro-Asyl-Sprecher Bernd Mesovic. Die Taliban seien landesweit präsent, die Landwege unsicher. Für Stephan Dünnwald vom Flüchtlingsrat hätten die Sammelabschiebung vor allem den Zweck, die in Deutschland lebenden Flüchtlinge zu verunsichern und nach außen eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Seit 2016 zählten die beiden Hilfsorganisationen 30 Sammelabschiebungen nach Afghanistan per Charterflug mit insgesamt 800 Personen, die Hälfte davon aus Bayern.

Wer abgeschoben werde, sei dabei teilweise willkürlich, so Flüchtlingsratsprecher Dünnwald. Oft würde den Betroffenen das Handy abgenommen, so dass sie keine Möglichkeit hätten, etwa einen Anwalt zu informieren. Dabei gebe er klare Gründe gegen Abschiebungen wie zum Beispiel psychische Erkrankungen oder gelungene Integration, wofür etwa eine Ausbildung, gute Deutschkenntnisse und ein Freundeskreis zählten. Der Flüchtlingsrat macht das an Hossain A. deutlich, der nur knapp dem 29. Sammelabschiebeflug nach Afghanistan entging; erst in den frühen Abendstunden hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) die Abschiebung gestoppt.

Hossain lebt seit mehr als neun Jahren in Deutschland und steht unter gesetzlicher Betreuung. Bis auf seine in Iran wohnende Mutter ist die komplette Familie in Deutschland. Sein Bruder Akbar A. lebt mit einem unbefristeten Aufenthalt in München. Über seinen Bruder Hossain sagt er: »Er ist seit seiner Kindheit geistig behindert. Er ist im Krieg in Afghanistan aufgewachsen und traumatisiert. Er kann weder lesen, schreiben noch rechnen. Er braucht jemanden, der ihn im Alltag unterstützt. Zum Beispiel kann er nicht alleine eine Adresse finden oder einen öffentlichen Bus benutzen.« CSU und Freie Wähler im Petitionsausschuss des Landtages hingegen vertraten die Meinung, der geistig behinderte junge Mann könne in Afghanistan unproblematisch für sein Überleben sorgen und verwiesen auf vermeintliche Unterstützungsangebote dort. »Die Argumentation, in Afghanistan gäbe es Hilfen für abgeschobene Geflüchtete, ist falsch«, sagt dazu der Bayerische Flüchtlingsrat. Das konkret genannte Projekt IPSO biete nur psychotherapeutische Gruppendiskussionen an.

Flüchtlingsratssprecher Dünnwald wies darauf hin, dass für Frankreich mittlerweile auch Kabul nicht mehr als sicherer Ort gelte. Die französische Flüchtlingspolitik weise eine Anerkennungsquote der Asylsuchenden von 65 Prozent auf, es gebe praktisch einen Abschiebeschutz, weshalb viele Flüchtlinge aus Deutschland über die Grenze gingen. Dünnwald: »Es kann keine vernünftige Asylpolitik sein, Flüchtlinge in andere EU-Länder zu treiben.« Zum Argument der bayerischen Staatsregierung, es würden nur Straftäter abgeschoben, sagte er, der Begriff umfasse ein breites Spektrum, wobei die Rechtsmittel oft nicht ausgeschöpft seien. Grundsätzlich sollten Straftäter hier ihre Strafen verbüßen und nicht unerkannt für die dortigen Behörden in ihre Heimatländer abgeschoben werden.

Auch der Abschiebestopp für Syrer soll gelockert werden. Die Länder-Innenminister von SPD und Union seien sich einig, Abschiebungen gefährlicher Straftäter in das Bürgerkriegsland zu erlauben, sagte der Chef der Innenministerkonferenz, Hans-Joachim Grote (CDU), am Donnerstag in Lübeck. Er verwies aber auf Probleme. »Es gibt momentan in Syrien für uns keine Ansprechpartner, das ist die Schwierigkeit.« Ein interner Bericht des Auswärtigen Amts zu Syrien weist auf die »Bedrohung persönlicher Sicherheit« hin. Diese sei »nicht auf einzelne Landesteile beschränkt und besteht unabhängig von der Frage, in welchen Landesteilen noch Sicherheitsrisiken durch Kampfhandlungen und Terrorismus bestehen«.

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