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Kommt die Hartz-Wende in der SPD?

Auf dem Bundesparteitag der SPD wird voraussichtlich über die Abschaffung aller Hartz-IV-Sanktionen abgestimmt. Die Chancen dafür stehen besser als zuvor

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ein Schlag fürs Partei-Establishment« - das war die bisher prägende Deutungslinie des Siegs von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken bei der SPD-Mitgliederbefragung. Doch wird die Partei in dieser Lage auch einen Neuanfang beim Thema Hartz IV hinbekommen?

Auf dem Parteitag der SPD ab diesem Freitag will die Parteispitze einen Leitantrag zum Thema Sozialstaat einbringen. Der bisher bekannte Antrag des Parteivorstands sieht gewisse Korrekturen an Hartz IV vor. Was die damalige Parteichefin Andrea Nahles im vergangenen Winter skizziert hatte, soll zur offiziellen Beschlusslage gemacht werden. Gemäß dem von ihr angestoßenen »Sozialstaat 2025«-Papier soll Hartz IV in ein »Bürgergeld« umgeformt werden. Das soll wie schon in der alten Sozialhilfe vor Hartz IV wieder Sonderbedarfe zusätzlich zum Regelbedarf kennen, beispielsweise für eine kaputte Waschmaschine. Zudem soll es eine zweijährige Schonfrist beim Übergang vom Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II bei der Wohnung als auch beim Vermögen geben. Allerdings: Sanktionen sind weiterhin vorgesehen. Nur »sinnwidrige und unwürdige Sanktionen gehörten abgeschafft«, heißt es im Antrag des Parteivorstands aus dem November. Auch der Regelsatz, der von zahlreichen Organisationen und Wissenschaftler*innen als »künstlich kleingerechnet« angesehen wird, soll nicht angegangen werden.

Für viele in der Partei wäre ein Bürgergeld in dieser Form daher keine echte Abkehr von Hartz IV. Unter anderem die Jusos, der Landesverband Berlin und der SPD-Verein Forum Demokratische Linke 21 (DL 21) wollen Änderungsanträge einbringen, die auf eine vollständige Abschaffung aller Sanktionen und höhere Regelsätze abzielen.

»Die Abschaffung von Hartz IV und den Sanktionen ist ein wesentliches Thema für uns Jusos. Es ist ein wichtiger Bestandteil eines echten Neubeginns«, sagt der stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende Philipp Türmer »nd«. Auch die Vorsitzende der DL 21, Hilde Mattheis, äußerte sich dem »nd« gegenüber bestimmt: »Wir müssen Hartz IV endlich abräumen. Das ist eines der Symbolthemen der Agenda-2010-Politik. Wenn wir das nicht endlich hinter uns lassen, dann können wir noch so lange über Erneuerung reden, dann wird es sie nicht geben.«

Hoffnungen richten sich nun auch an das neue Führungsduo. Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sollen auf dem Parteitag von den Delegierten offiziell an die Parteispitze gewählt werden. Sie hatten sich zuvor mehrfach sehr kritisch über Hartz IV und den Sanktionen geäußert. Die beiden gingen damit weiter, als die bisherige Parteispitze es in ihrem »Sozialstaat 2025«-Konzept tut. Dem »nd« hatten sie beispielsweise im September noch gesagt: »Dass man ihnen Sanktionen androht, ist eine Beleidigung für Menschen. Damit wollen wir aufräumen.« Beim Thema Regelsatz hatten sie gefordert, dass dieser »nicht künstlich klein gerechnet werden« dürfe.

Allerdings: Ein seit Mittwoch kursierender überarbeiteter Entwurf zum Leitantrag bleibt bei dem Thema Hartz-IV-Sanktionen eher vage. Dort heißt es: »Wir wollen den durch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts angestoßenen Reformbedarf bei Hartz IV nutzen, um den Sozialstaat in Richtung unseres Sozialstaatskonzepts weiterzuentwickeln.« Zu den Sanktionen heißt es, dass sie »nicht zuletzt aufgrund des Urteils deutlich eingeschränkt werden« sollten. Von einer kompletten Streichung ist im kursierenden Ausschnitt des Entwurfs jedoch nicht die Rede.

Jusos, DL 21 und andere wollen daher auf dem Parteitag den Druck aufrechterhalten. »Dass es beim Thema Hartz IV Bewegung gibt, ist auch eine Erwartung an das neue Führungsduo. Sie hatten sich vorher weitgehend und sehr kritisch zu dem Thema geäußert. Sie müssen an der Stelle von Hartz IV und den Sanktionen und auch gegen ein weiter so in der GroKo, aufstehen«, sagte Mattheis dem »nd«.

Für den anstehenden Parteitag rechnen sich Befürworter*innen eines echten Abschieds von Hartz IV größere Chancen aus, als bei den letzten Versuchen. Schon auf vergangenen Parteitagen hatte es Anträge unter anderem von den Jusos zum Abschied von Hartz IV und dem Ende der Sanktionen gegeben. Diese waren knapp gescheitert.

Nordrhein-Westfalen, der Landesverband mit den meisten Delegierten auf dem Parteitag, hat mit Sebastian Hartmann als Landesschef und dem Fraktionsvorsitzenden Thomas Kutschaty gleich zwei exponierte Hartz-IV-Kritiker in Spitzenpositionen. Im September beschloss der Parteitag einen Antrag, der wesentlich über die bisherigen SPD-Pläne zum Umbau von Hartz IV hinausging. Sie fordern eine »bedingungslose Grundsicherung« von 570 Euro - ohne Sanktionen.

Auch der drittgrößte Landesverband Bayern hat seit dem Parteitag im Januar einen offiziellen Beschluss zur Abschaffung aller Sanktionen. In Hessen, ebenfalls ein Landesverband mit vielen Delegierten, fehlt der. Gerade die Bezirke aus Südhessen gelten jedoch parteiintern als links und könnten mehrheitlich für eine Abschaffung aller Sanktionen stimmen. In Baden-Württemberg, immerhin fünftgrößter Landesverband, gibt es seit Ende letzten Jahres eine Beschlusslage, dass »Kürzungen durch Sanktionen auf das absolute Existenzminimum intolerabel« seien. Auch Berlin und Sachsen haben Abschaffungs-Beschlüsse.

Würden alleine Hessen, NRW und Bayern sowie Berlin geschlossen für eine Abschaffung stimmen, würde es wohl schon für einen Abschied vom Sanktionsregime reichen. Allerdings: Beschlusslage ist nicht immer gleichbedeutend mit Zustimmung der Delegierten. In Baden-Württemberg lässt der Beschluss zudem Interpretationsspielraum. Es könnte also spannend werden. Doch die Chancen für ein Ende der Sanktionen stehen wohl besser als je zuvor.

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