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Die neuen Puristen
Velten Schäfer gräbt das Unwort »Reform« neu aus
Und es geschehen Zeichen und Wunder: Zum Beispiel seitens Tim Kählers, des SPD-Bürgermeisters von Herford. Das von ihm geleitete »Netzwerk« in der SPD, das einen »Linksruck« verhindern wollte, hat sich aufgelöst: Jetzt, da die Entscheidung - für jenen Linksruck nämlich - demokratisch gefallen sei, akzeptiere man diese und beende das »Engagement«.
Sie haben richtig gehört: »SPD«, »demokratische Parteientscheidung«, »akzeptiert«, ergo kein Quertreiben mehr, zumindest nicht in organisierter Form! Wer nun noch ergoogelt, dass das wohl prominenteste Mitglied jener Vereinigung Sigmar Gabriel hieß, muss sich fast Tränen der Rührung verkneifen: ein Ex-Parteichef, der seinen - die kommissarischen Vorsitzenden seit 2017 mitgezählt - Nach-nach-nach-nach-nach-nach-nachfolgern erst mal Luft zum Atmen lassen will, statt sie sofort zu mobben und erdolchen, womöglich aus eigener Leiderfahrung?
Das ist sensationell, zumindest bis zum nächsten »Spiegel«-Gespräch. Doch kann man das Grinsen nun getrost einstellen. Die Nachricht um jenes aufgelöste Netzwerk hat nämlich einen tatsächlich epochalen Aspekt, ganz ohne Ironie. Es geht dabei um seinen Namen und um die Botschaft, die es platzieren wollte.
Das Netzwerk hieß nämlich »SPDpur«. Zu seiner Auflösung war im »Spiegel« zu lesen, es sei eine »konservative« Parteiströmung gewesen, die »Traditionalisten« versammelt habe. Gemeint war das ganz positiv. Plötzlich beanspruchen also die Schröderianer das Siegel »pur« und rufen sich gar als »Traditionalisten« aus. Waren das nicht eben noch Schimpfwörter? Galt »Purismus« nicht als weltfremd und ideologisch, »Traditionalismus« als verstockt - und ein Festhalten an Arbeitnehmerrechten, gar Keynesianismus als »konservativ« im bösesten Sinn?
Die Neoliberalen verdrehen sich also ihr eigenes Wort im Mund. Das lässt tief blicken. Sie haben Angst vor ihrer eigenen Rhetorik bekommen. Sie wagen nicht mehr, jedes Tief der Partei mit einer höheren Dosis ihrer Medizin kurieren zu wollen. Stattdessen beruft sich die Parteifraktion, die jahrelang nur vom Morgen sprechen wollte, nunmehr auf ein Gestern.
Das lässt sich nutzen für den Machtkampf, der in der SPD nun zu führen ist: Will das einst »Neue« nun das gute Alte sein, kann sich das einst für gestrig Erklärte als zukunftsweisend proklamieren. Geht das so weiter, kommt womöglich ein Zeitpunkt, an dem selbst das Unwort »Reform« wieder benutzbar wird.
Und dann hätte Herr Kähler so kurz vor dem Christenfest tatsächlich ein Zeichen gesetzt, das Wunder wirken könnte - wenn auch wider Willen.
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