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Gefährliche Begegnungen
Auch Männer, die ihre Frauen schlagen, dürfen ihre Kinder sehen. Das Umgangsrecht schützt Mütter nicht vor gewalttätigen Vätern.
Es regnet, als die junge Frau vor einem belebten Einkaufscenter ihrem Ex-Mann den gemeinsamen Sohn für einen Papa-Nachmittag übergeben will. Es soll schnell gehen, es ist ungemütlich. Doch der Mann hat nicht vor, nur das Kind in Empfang zu nehmen, er will vor allem eines: sich an seiner Ex-Frau rächen. Als er ihr gegenübersteht, schlägt er zu. Ins Gesicht, in den Bauch, auf ihre Arme. Passanten rufen die Polizei.
Diese Geschichte, die sich an einem gewöhnlichen Januartag vor ein paar Jahren in Bonn abgespielt hat, ist kein Einzelfall. Immer wieder laufen Frauen, die sich von ihren Partnern trennen wollen oder sich bereits getrennt haben, Gefahr, von den Männern angegriffen zu werden. Der Schläger in Bonn war den Behörden als gewalttätig bekannt. Nachdem seine Ex-Frau ihn mehrfach angezeigt hatte, durfte er sich ihr nicht mehr nähern. Aber den Sohn durfte er noch sehen. So besagt es das Gesetz: Das Umgangsrecht ist losgelöst vom Gewaltschutz. So sind Mütter gezwungen, immer wieder mit dem prügelnden Ex-Partner Kontakt zu haben, unter anderem um den Umgang mit den Kindern zu regeln. »Auf diese Weise wird das Gewaltschutzgesetz ausgehöhlt«, sagt Sibylle Stotz vom Autonomen Frauenhaus in München. Dahinter verbirgt sich eine fragwürdige Logik: Wenn ein Mann seine Frau schlägt, muss er noch lange nicht schlecht zu seinen Kindern sein.
Gewaltschutz muss echter Gewaltschutz sein
Studien zufolge werden 70 Prozent der Frauen, die sich von ihrem gewalttätigen Mann getrennt haben, von ihm erneut geschlagen, wenn sie ihm die Kinder übergeben. In solchen Situationen wird aber auch über die Hälfte der Kinder misshandelt. Oder sogar umgebracht, wie im Sommer 2018 im bayerischen Gunzenhausen geschehen. Der Mann hat sich in die Wohnung seiner von ihm getrennten Frau geschlichen und dann sie und die drei Kinder erstochen. Jetzt wurde er wegen mehrfachen Mordes verurteilt.
Seit Langem fordern Expert*innen eine Gesetzesänderung: Gewaltschutz muss echter Gewaltschutz sein. Doch ob das demnächst tatsächlich so kommt, bleibt auch nach einer Verständigung von Vertreter*innen des Bündnisses Istanbul-Konvention, einem Zusammenschluss von Frauenorganisationen mit dem Ziel, den Kampf gegen Gewalt an Frauen zu verstärken, mit Parlamentarier*innen fraglich. Zwar betonte Sönke Rix, familienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Gesprächsteilnehmer, dass für seine Partei »beim Sorge- und Umgangsrecht das Kindeswohl die Maxime« sei. Auch Yvonne Magwas, Vorsitzende der Frauengruppe der Unions-Fraktion im Bundestag, sagte nach dem Treffen: »Das Umgangsrecht darf dem Gewaltschutz nicht zuwiderlaufen.«
Doch bei der von der Bundesregierung großangelegten Reform des Umgangs- und Sorgerechts, für die das Justizministerium im nächsten halben Jahr einen Gesetzentwurf vorlegen soll, ist bislang kein eindeutiger Gewaltschutz vorgesehen. Im Thesenpapier einer eigens für die Reform eingesetzten Arbeitsgruppe heißt es lediglich: »Auch die Gewaltfreiheit der Erziehung ist als Leitprinzip besonders hervorzuheben.« Das zielt eher auf das Kindeswohl, nicht auf Gewaltopfer. Die Vokabel Gewaltschutz taucht im Papier nicht ein einziges Mal auf.
Entgegen den Vorgaben der Istanbul-Konvention
Das läuft den Vorgaben der Istanbul-Konvention klar zuwider. Artikel 31 dieses Europarat-Übereinkommens zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt an Frauen verlangt von den Regierungen der beteiligten Länder, dass diese mit Gesetzen für den Gewaltschutz sorgen müssen. Das Sorge- und Umgangsrecht darf die Gewaltfreiheit nicht torpedieren. Zugespitzt formuliert, sähe die verbesserte Rechtspraxis so aus: Wer schlägt, sieht sein Kind nicht.
Aber so ist es in Deutschland, das die Instanbul-Konvention unterzeichnet und ratifiziert hat, derzeit nicht. »Kinderlose Frauen sind heute gut geschützt«, sagt Katja Grieger, Psychologin und Geschäftsführerin des Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, »Mütter sind es nicht.« Grieger kennt zahlreiche Fälle, bei denen Frauen aus Angst um ihre Kinder die Gewalt des Ex-Mannes ertragen oder - wenn sie den Täter angezeigt haben - der Brutalität dennoch nicht entkommen können.
Die Trennungsphase ist für Frauen eine besonders gefährliche Zeit. Dann wisse der Täter, dass »sie wirklich geht«, weiß Sibylle Stotz vom Frauenhaus München. Deshalb schlage er umso kräftiger und umso häufiger zu. Die Gewaltstatistik des Bundeskriminalamtes zählt für 2018 insgesamt 140 755 Opfer von Partnerschaftsgewalt. 114 393 von ihren waren weiblich, 324 haben die Angriffe nicht überlebt.
Nicht selten drohen Schläger ihre Gewalttaten an, die Frauen flüchten ins Frauenhaus - so sie dort einen Platz bekommen. Expert*innen fordern, das Gewaltschutzgesetz auch dahingehend zu ändern, dass Mütter im Namen ihrer Kinder beantragen können, dass sich die Väter ihnen nicht mehr nähern dürfen. Außerdem sollen sogenannte beschleunigte Verfahren, in denen Sorgerechtsfälle in der Regel verhandelt werden, in Gewaltbeziehungen nicht mehr gelten. Gewöhnlich sollen Familiengerichte bereits etwa einen Monat nach einem Umgangs- oder Sorgerechtsantrag eine Entscheidung treffen. Das geschieht jedoch häufig, ohne die Eltern angehört zu haben.
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