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Nächste Frage: Hält die Union?
Der Brexit kommt, neue Probleme sind in Sicht.
Die Tories haben einen historischen Sieg errungen, während Corbyns Labour-Partei einen desaströsen Rückschlag erlitten hat. Der Brexit wird bald kommen, aber für Großbritannien könnten die Probleme erst beginnen.
Es sei jetzt der unbestreitbare Wille der Briten, dass sie den Brexit endlich umsetzen wollen, sagte Boris Johnson in seiner ersten Rede als wiedergewählter Premierminister - und es ist eine der wenigen Aussagen der vergangenen sechs Wochen, mit denen er Recht hat. Der Sieg der Tories war überwältigend. Besonders schockierend für die Opposition: Gerade in den ehemaligen Labour-Hochburgen triumphierte Johnson.
Die Tories haben künftig eine satte Parlamentsmehrheit von fast 40 Sitzen. Die Befürchtungen Labours stellten sich als berechtigt heraus: Unzähligen Wahlkreise, die seit Jahrzehnten in roter Hand sind, im Norden England und in den Midlands, wählten zum ersten Mal mehrheitlich konservativ. Labour erzielte das schlechteste Resultat seit Jahrzehnten und verlor zahlreiche Mandate, beispielsweise in dem ehemaligen Bergbaugebiet Blyth Valley und in Bolsover, wo der Labour-Veteran Dennis Skinner dem konservativen Herausforderer unterlag. Laura Pidcock, eine prominente Vertreterin des linken Parteiflügels, verlor ihr Mandat im nordöstlichen Durham East, ebenfalls ein traditioneller Labour-Sitz.
In den großen Städten schnitt die Partei besser ab, aber sie schaffte es nicht, die Verluste andernorts zu kompensieren. Der Londoner Sitz Kensington ging an die Tories zurück, und Faiza Shaheen, die junge Labour-Kandidatin, verpasste es knapp, den ehemaligen Tory-Chef Iain Duncan Smith zu besiegen. Corbyn sprach von einer »sehr enttäuschenden Nacht«; der Brexit habe das Land »so polarisiert, dass es die normale politische Debatte überschattete«. Corbyn bestätigte, dass er bei der nächsten Wahl nicht mehr als Parteichef antreten werde, er wolle jedoch die Partei noch eine Weile durch einen »Reflexionsprozess« führen.
Schlimm war die Wahlnacht auch für die Liberaldemokraten: Nicht nur erhielt die Mittepartei deutlich weniger Stimmen und hat künftig nur noch elf Abgeordnete, auch die Parteichefin selbst, Jo Swinson, büßte ihren Sitz ein. Swinson gab unverzüglich ihren Rücktritt bekannt. Sie unterlag der Herausforderin der Scottish National Party (SNP), die Partei, die im nördlichen Landesteil triumphierte: 13 Mandate gewann die SNP hinzu und dominiert Schottland mit insgesamt 48 Sitzen. Das wird auch Konsequenzen haben für die Frage der Unabhängigkeit: Eine erstarkte SNP wird den kommenden Brexit nicht einfach so hinnehmen, sondern darauf bestehen, dass Schottland das demokratische Recht hat, seinen eigenen Weg zu gehen.
Auch in Nordirland sind Kräfte gestärkt worden, die den Zusammenhalt Großbritanniens infrage stellen: Die Unionisten haben herbe Verluste hingenommen, während Parteien, die eine Vereinigung mit der Republik Irland wünschen, insgesamt zugelegt haben. Zum ersten Mal seit der Teilung der irischen Insel in den 1920er Jahren wählte Nordirland mehr irische Nationalisten ins britische Parlament als Abgeordnete, die sich für die enge Bindung an Großbritannien einsetzen. Die britische Union wird also bald intensiver diskutiert werden - und es ist fraglich, wie lange der Triumph Johnsons andauern wird.
Das trifft auch auf den Brexit zu: Für den Moment ist der Premierminister in einer starken Position. »Wir erwarten das Votum des britischen Parlaments über den Brexit so bald wie möglich«, sagte Johnson in seiner Dankesrede. »Wir sind bereit.« Vielleicht noch vor Weihnachten wird das Unterhaus den Austrittsvertrag absegnen, sodass Großbritannien die EU plangemäß am 31. Januar verlassen kann. Ein weiterer Aufschub ist nunmehr ausgeschlossen.
Weniger klar ist allerdings, wie es danach weitergeht. Theoretisch müsste Großbritannien bis Ende 2020 ein Freihandelsabkommen mit der EU ausgehandelt haben - was in der Regel Jahre dauert, wie Experten betonen. Wenn das nicht klappt, steht das Land wieder am gleichen Punkt wie vor ein paar Monaten: vor einem drohenden No-Deal-Brexit. »Get Brexit Done« war offensichtlich eine Phrase, die auf Wähler einen Eindruck gemacht hat - aber zu glauben, dass die Sache damit vom Tisch ist, wäre illusorisch. Der Brexit-Prozess hat erst richtig begonnen.
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