Schlechte Gegner

Im Katalonienkonflikt stehen sie auf verschiedenen Seiten. Freunde sind sie trotzdem.

  • Julia Macher
  • Lesedauer: 6 Min.

José Luis Martí und Ismael Peña López beherrschen eine selten gewordene Fertigkeit, die eigentlich so gewöhnlich ist, dass man eine Weile braucht, um sie zu erkennen: Sie hören einander zu. Wenn Martí, 44 Jahre, kurzes Haar und Brille, ausführt, warum er den Traum von einer unabhängigen katalanischen Republik für Humbug hält, lauscht Peña López aufmerksam. Wenn Peña López, 46 Jahre, halblange graumelierte Locken, erklärt, warum Katalonien sich so schnell wie möglich von Spanien trennen sollte, folgt Martí ihm interessiert.

Dabei gibt es wohl kaum ein Thema, das die Gemüter mehr erhitzt. Der Konflikt spalte die Gesellschaft, heißt es in den Medien, auch in Katalonien selbst. In der Region im Nordosten der iberischen Halbinsel habe der Streit schon Ehepaare vor den Scheidungsanwalt gebracht und Freundeskreise gesprengt. War das Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 ein heroischer Akt der Selbstbefreiung oder politisches Schmierentheater? Sind die Organisatoren, die das Oberste Gericht im Herbst teils zu 13 Jahren Gefängnis verurteilte, Hasardeure, Putschisten oder Freiheitskämpfer? Ist man nicht unter Gleichgesinnten, spart man diese Fragen bei Familienfesten oder Betriebsfeiern lieber aus. Bei Martí und Peña López geht das schon von Berufs wegen nicht. Martí ist Professor für Rechtsphilosophie, Peña López Beauftrager der katalanischen Regionalregierung für Partizipation und Wahlprozesse. Über nichts sprechen sie lieber als über Politik.

Das System infrage stellen

Die beiden Mittvierziger sitzen im Vorzimmer von Martís Büro an der Universidad Pompeu Fabra. Martí unterrichtet hier, die Trimester-Abschlussfeier ist gerade zu Ende gegangen. Peña López hatte in der Nähe zu tun, sein Klapprad lehnt an der Wand. Über einem Eichentisch hängt das Bild eines berühmten katalanischen Künstlers, in der Ecke trocknet ein Ficus Benjamini, das Samtsofa sieht aus, als habe man es zu Dekorationszwecken aufgestellt. Es gibt einladendere Orte für ein Gespräch unter Freunden. Dennoch passt die repräsentative Ungemütlichkeit des Vorzimmers zu den beiden. Schließlich haben sie sich vor 15 Jahren in einem ähnlichen Ambiente kennengelernt.

Peña López koordinierte damals ein Forschungsprojekt zu Konfliktmediation an der Universitat Oberta de Catalunya, Martí arbeitete als Gastdozent mit. »Furchtbar langweilig« und streng fand Martí seinen Vorgesetzten. Erst als er herausfand, dass der an ganz ähnlichen Themen arbeitete, änderte sich sein Bild. Das war im Frühsommer 2011. Aus Empörung über das verknöcherte System hatten damals junge Menschen im ganzen Land öffentliche Plätze besetzt. Unter freiem Himmel diskutierte die »Empörtenbewegung« über neue Formen der politischen Partizipation. Peña López und Martí waren fasziniert. »Das war mehr als nur ein gemeinsames wissenschaftliches Interesse«, sagt Peña López. »Der 15M [der Name der Bewegung leitet sich von ihrem Gründungstag am 15. Mai ab, Anm. d. Red.] hat schließlich das ganze System hinterfragt. Das hat die Beschäftigung mit ihm unweigerlich zu einem ganz persönlichen Thema gemacht.«

In ihren Gesprächen entdeckten die beiden, dass sie die gleichen Zweifel am Universitätssystem, das gleiche Unwohlsein angesichts des Status quo plagten - und die gleichen Fragen umtrieben: Woraus entsteht politische Legitimität? Wie eignet man sich die Kontrolle über das System wieder an? Martí folgt den leidenschaftlichen Ausführungen seines Freundes mit schräg gelegtem Kopf und nickt, als Peña López sagt, es sei darum gegangen, »alles infrage zu stellen«. »Auch das Recht auf Selbstbestimmung. Warum soll Madrid entscheiden, was man besser hier entscheiden kann?« Martí zieht die Augenbrauen hoch, lächelt in sich hinein. Seinen Freund haben die Debatten um politische Selbstbestimmung letztlich zum Verteidiger der Unabhängigkeitsidee werden, ihn selbst Zweifler bleiben lassen. Peña López glaubt bis heute, dass die Möglichkeiten für einen Wandel in Spanien gegen Null gehen, es innerhalb eines eigenständigen Kataloniens aber eine Chance für Systemveränderung geben könnte. Martí hält Veränderung in beiden Fällen für ausgeschlossen. Es ist nur eine Nuance Unterschied, aber sie stellte im Herbst 2017 Weichen.

In Barcelona herrschte damals eine fiebrige Atmosphäre. In einem Eilverfahren hatte das katalanische Parlament zwei Gesetze durchgepeitscht, die zunächst das Referendum, dann die Sezession ermöglichen sollten. Madrid ließ die Polizei nach Urnen und Wahlzetteln suchen. Peña López arbeitete damals beim katalanischen Kulturverein Òmnium Cultural, der an der Vorbereitung des Referendums mitgewirkt hatte. Den juristischen Rahmen der Abstimmung hielt er wie sein Freund Martí für »äußerst mangelhaft«, am Ziel - dem Referendum - aber hielt er fest. Sollte daran mehr als die Hälfte der Bevölkerung teilnehmen und mit Ja stimmen, würde Katalonien die Unabhängigkeit ausrufen. Martí war »sehr besorgt«. Vielleicht, sagt er heute, hätte er im Fall einer Unabhängigkeit das Land verlassen. Die beiden führten zwei Tage vor der Abstimmung ein mehrstündiges Streitgespräch, die Freundschaft stand selbst da nicht auf dem Spiel. Dann überstürzten sich die Ereignisse. Bilder von Polizisten, die mit Schlagstöcken auf Wähler prügelten, gingen um die Welt. »Du bist damals dann doch noch losgezogen, um ein Wahllokal zu verteidigen, wie ein echter Independentista«, frotzelt Peña López. »Stimmt gar nicht, ich wollte bloß das Unrecht der Staatsgewalt dokumentieren«, antwortet Martí.

Dass die beiden über ihre Differenzen scherzen können, liegt auch daran, dass sie aus dem 1. Oktober und dem darauffolgenden Armdrücken zwischen Madrid und Barcelona die gleichen Schlüsse zogen. Katalonien schien unausweichlich auf eine einseitige Unabhängigkeitserklärung zuzusteuern - mit ungewissem Ausgang. Manche sahen schon die Panzer auf Barcelonas Verkehrsachse Avinguda Diagonal rollen, das Land in einen Bürgerkrieg steuern. »Die Politik war dabei, sich in eine Situation zu manövrieren, bei der es nur Verlierer geben konnte«, beschreiben Peña López und Martí fast wortgleich die Situation. Fatal, fanden beide.

Gemeinsam gescheitert

Also griffen sie zum Telefon, um einen Mediator für die Katalonienkrise zu finden. »Wichtiger als politische Ziele sind die Menschen«, sagt Peña López, Martí stimmt zu. Mit wem sie damals gesprochen haben, verraten sie nicht. Ranghohe Politiker aus Europa, USA und dem Vatikan sollen dabei gewesen sein. Die Tage und Nächte, an denen die beiden das Ohr nicht vom Telefon und die Finger nicht von der Tastatur bekamen, schweißten sie mehr zusammen als alles andere, auch wenn ihr Vorhaben scheiterte: Am 27. Oktober rief das katalanische Parlament die Unabhängigkeit aus. Madrid entmachtete die Regionalregierung und stellte die abtrünnige Region unter Zwangsverwaltung. Der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont setzte sich nach Brüssel ab, und das Gros seines Kabinetts wurde wegen Aufruhrs zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt.

Dass das Urteil hanebüchen ist, darüber sind sich die beiden einig. Martí hat es in Zeitungs- und Fachartikeln wiederholt als »Angriff auf demokratische Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit« bezeichnet und damit auch befreundete Sozialdemokraten vor den Kopf gestoßen. Auch Peña López wird von »seinen Leuten« manchmal schief angesehen, wenn er den Wunsch nach einer unabhängigen Republik eben nicht aus Sprache, Kultur, Identität ableitet, sondern aus demokratietheoretischen Überlegungen. »Du bist eben ein schlechter Unabhängigkeitsbefürworter«, lacht Martí. »Und du ein schlechter Unabhängigkeitsgegner«, kontert Peña López.

Gibt es etwas, was sie sich gegenseitig nicht verzeihen könnten? Eine rote Linie, die der andere nicht überschreiten dürfte? Die beiden gucken sich ein paar Sekunden an, schütteln dann den Kopf. »Je besser man den anderen kennt, desto mehr versteht man ihn doch«, sagt Martí. Und Peña López nickt.

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