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Wenn Inklusion aufgeht
Im Café Schwartzsche Villa läuft manches langsamer - im Sinne der Beschäftigten.
Von Schließzeit zwischen den Jahren keine Spur: In den letzten Dezembertagen geht es im Café Schwartzsche Villa im Vergleich zu ähnlichen Lokalen hoch her, davon kann man sich bei einem nachmittäglichen Besuch überzeugen. »Wir haben geöffnet. Niemand muss an den Feiertagen allein bleiben«, lautet das Motto des Kulturcafés im Herzen von Berlin-Steglitz. Ob Punsch, Gänsekeule oder das Silvester-Büfett: das Angebot ist bezahlbar - und das Café mit angenehm schummrigem 90er-Jahre-Charme und unaufgeregten Mitarbeiter*innen weit entfernt von der sich beim Angesagtsein ständig selbst überbietenden Café-Szene.
Ein Grund: Hier arbeiten insgesamt acht Menschen mit Behinderungen auf »geschützten Arbeitsplätzen«. Das Café gehört seit 1995 zum gemeinnützigen Mosaik-Unternehmensverbund. Der einst in West-Berlin gegründete Verein setzt sich seit über 50 Jahren für die gesellschaftliche und berufliche Inklusion von Menschen mit Behinderung ein. Sein Hauptziel: Die Beschäftigten in ihrem Wunsch zu unterstützen, aktiv und selbstständig am (Arbeits-)Leben teilzuhaben - an über 40 Standorten in Berlin und Brandenburg.
Lutz Richter, der das Café Schwartzsche Villa seit über 20 Jahren leitet, wusste nicht, dass es sich hierbei um einen Inklusionsbetrieb handelt, als er sich auf die ausgeschriebene Stelle des Restaurantleiters bewarb. »Ich war, ehrlich gesagt, erschrocken, dachte, hier bin ich nicht richtig.« Richter ist gelernter Restaurantfachmann, er hatte bis dahin wenig Kontakt zu Menschen mit Behinderungen. »Ich war es gewohnt, dass im Restaurantbetrieb das äußerliche Erscheinungsbild eine sehr große Rolle spielt. Hier gab es das so nicht«, schildert Richter. Er fand, es brauche mehr Anspruch im Cafébetrieb. Und er wollte diesen Anspruch gemeinsam mit den Beschäftigten erarbeiten.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich die Geduld aufbringen würde«, gibt Richter zu. Mosaik habe ihn »in Ruhe« machen lassen. Das habe ihm Sicherheit gegeben. Aber auch er habe lernen müssen, zu vertrauen: »Es war ein Prozess, in dem alle im Betrieb herausfinden mussten, wer wie viel und welche Verantwortung übernehmen kann.« Zu Beginn sei es ein »Sieben-Tage-Job« gewesen, erinnert sich der heute 61-Jährige. Aber schon im ersten Sommer, berichtet er stolz, habe man Gewinne mit dem Cafébetrieb eingefahren - zum ersten Mal überhaupt. Parallel zum Gespräch mit »nd« koordiniert Richter den Aufbau der am nächsten Tag stattfindenden Silvesterfeier für 90 Personen. Dabei bekommt man einen Eindruck von der direkten, sachlichen und dennoch persönlichen Art, wie er mit den Menschen spricht, die er tagtäglich anleitet. Ruhig geht es zu, so wie auch im Café, in dem es angenehm voll ist. Der Winterbetrieb läuft an zehn Tischen, in der warmen Jahreszeit ist es mit der großen Sommerterrasse weitaus betriebsamer.
Vor über zehn Jahren hat Lutz Richter noch einmal eine sonderpädagogische Zusatzausbildung absolviert. Er betrachte seinen Beruf als Möglichkeit der persönlichen Weiterentwicklung, sagt Richter. Gilt das auch für die Beschäftigten? »Schon. Wir stemmen den Betrieb hier ja mit Personal, dass den Beruf nicht gelernt hat.«
In vielen Unternehmen der Hauptstadt ist das Prinzip Inklusion noch nicht angekommen. Nur etwa ein Drittel der 6794 Berliner Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten erfüllen die Pflichtquote von fünf Prozent bei der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen. Die anderen Unternehmen entrichten eine Ausgleichsabgabe. Im Jahr 2017 gab es in Berlin 57 683 Pflichtarbeitsplätze, 14 142 davon waren unbesetzt. Das hat auch damit zu tun, dass Behinderung oft mit Arbeitsunfähigkeit gleichgesetzt wird. Es gibt nach wie vor sehr viele Vorbehalte gegenüber Menschen mit Behinderungen. Es fehle in den Verwaltungen, in der Wirtschaft, in den Verbänden und bei Personalverantwortlichen der großen Firmen vor allem an Zutrauen, sagte dazu Franz Allert, Präsident des Landesamts für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) kürzlich anlässlich der Verleihung des 17. Berliner Inklusionspreises an Berliner Betriebe.
»Unsere Beschäftigten haben ganz unterschiedliche Beeinträchtigungen. Jemand, der eine Lernschwäche hat, kann in der Gastronomie unter Anleitung sehr gut arbeiten«, erklärt Lutz Richter. Auf diese Art könne man als Kellner oder Koch vom schlechter bezahlten Werkstattvertrag bis zur Entlohnung nach regulärem Tarifvertrag »aufsteigen«, also formal in den regulären Arbeitsmarkt wechseln. Andererseits gelte: Alle Beschäftigten verfügten über unterschiedliche Fähigkeiten. »Manche Menschen in unserem Betrieb brauchen mehr Zeit, manche sind öfter krank, manche brauchen mehr Pausen oder mehr Urlaub«, erzählt Lutz Richter. Eigentlich wie in jedem Betrieb, könnte man hinzufügen.
Sozialsenatorin Elke Breitenbach (LINKE) lobte im Dezember 2019 bei einem Besuch im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) ausdrücklich die »Brückenfunktion« des Inklusionskonzepts. Die Behörde setzt als noch junge Ausgliederung des LAGeSo das Inklusionsprinzip um. Viele der dort Beschäftigten mit Behinderungen waren früher in Werkstätten angestellt, erlebten ihre Tätigkeiten aber als Unterforderung. Andererseits seien viele Menschen verunsichert durch ihre Erfahrungen auf dem ersten Arbeitsmarkt: »Viele sind dort krank geworden und deshalb überhaupt erst in Werkstätten gekommen«, so die Sozialsenatorin.
Die Beschäftigten der Mosaik-Betriebe arbeiten mit Werkstattvertrag. »Für uns heißt Inklusion trotzdem nicht Aushängeschild, es geht schließlich nicht um Mitleid. Ein geschützter Arbeitsplatz bedeutet zwar, dass man nicht gekündigt werden kann, aber er bedeutet genauso, dass der Angestellte pünktlich und zuverlässig sein muss«, formuliert es Lutz Richter. Wichtig sei ihm, dass sich die Angestellten mit ihrer Arbeit wohlfühlen.
Sozialsenatorin Breitenbach will sich in diesem Jahr verstärkt für einen inklusiven Arbeitsmarkt einsetzen. Unter anderem fehle vielen Werkstattmitarbeitern der Anreiz, auf den regulären Arbeitsmarkt zu wechseln. Laut Breitenbach steht für Wechselwillige genug Geld zur Verfügung, das bislang aber kaum genutzt wird. Es soll behinderten Menschen den Einstieg in den allgemeinen Arbeitsmarkt erleichtern. Arbeitgeber erhalten einen Ausgleich für die dauerhafte Minderleistung des Beschäftigten.
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