Ohne Wenn und Aber

Das »Oma-Lied« als Start in die neuen zwanziger Jahre.

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 6 Min.

Ein guter Test für die Bedeutung kultureller Auseinandersetzungen ist bekanntlich der Versuch, sie Leuten zu erklären zu versuchen, die im Ausland leben. Wer nun, etwa rund um die Feiertage, mit der Frage konfrontiert wurde, worum es bei dieser Sache mit dem »Oma-Lied« eigentlich gehe, musste unweigerlich feststellen, dass das ohne Weiteres kaum möglich war - zumindest, was die Sache selbst angeht.

Versuchte man es mit der »offiziellen« Version des WDR - ein altes Kinderlied sei umgedichtet worden, um die »zuweilen etwas hysterische Klimadiskussion« des Jahres 2019 zu karikieren -, kam die Frage zurück, warum sich dann nicht vor allem die Grünen und ihr Gefolge darüber echauffierten? Hielt man dem entgegen, das sei wohl allgemein falsch verstanden worden und zitierte man einige Zeilen, stieß man auf ein Erstaunen darüber, dass es nicht vor allem die Linken sind, die sich darüber aufregen: Seien doch die jüngeren Generationen mit ihren Massenfestivals, ihrem Kurztriptourismus, mit Onlineshopping, Rücksendungsflut und Unterhaltungselektronikwahn nicht minder Teil des Problems - und sei doch Deutschland, zumal im Osten, mittlerweile und in absehbarer Zukunft weit eher von Altersarmut geprägt denn von konsumgeilen Rentnern überflutet.

Und berichtete man schließlich von den Rechtsradikalen, die wegen des Liedchens vor dem WDR herumpöbelten, war das Unverständnis komplett: Wieso bitte sollten sich Neonazis zu Verteidigern eines Lebensstils rund um dicke Autos und Reisen in exotische Länder aufschwingen, dessen Oberflächlichkeit und unheldische Diesseitigkeit die radikale Rechte jener ihr verhassten Nachkriegsgeneration über Jahrzehnte als Verrat an Mythos und Volkstum vorgeworfen hatte, hierzulande noch zugespitzt zum Topos der »Entmannung« der Besiegten?

Das Fazit des Gesprächs konnte dann nur lauten, dass offenbar das, was man als »Inhalt« bezeichnet, derzeit aus dem Zentrum solcher Auseinandersetzungen verschwindet. Und sich die Frage neu stellt, wie und wo »Bedeutung« sich herstellt. Die Kommunikationstheorie zerlegt jeglichen kommunizierten Text in »Codierung« und »Decodierung«, also Sendungs- und Empfangsbedingung: Die Zeichen, die in einem Sprechakt aneinandergereiht werden, beziehen den Sinn, den die Sendenden ihnen geben wollen, nicht nur aus sich selbst und ihrer Binnenbeziehung, sondern aus der Lebenswelt, den Genres, den Redegewohnheiten, unter denen sie zu einer Sendung verpackt werden.

Auf der anderen Seite kommt eine Botschaft nicht einfach an, wie sie ist, sondern muss erst »ausgepackt« werden, damit sie Sinn ergibt - gleichfalls unter den jeweils spezifischen Bedingungen, unter denen sie gehört und gesehen wird.

So sind Sprechakte »inhaltlich« nie eindeutig, sondern hängt ihr Sinn davon ab, inwieweit das Ein- und Auspacken der Botschaft in ähnlichen »Welten« geschieht. So ist es möglich, dass etwa kulturindustrielle Produkte an Orten oder zu Zeiten, an die bei ihrer Herstellung nicht gedacht war, Eigensinn entfalten - und andere Bedeutungen ausgepackt werden können, als eingepackt worden sind.

In diesem Licht ist nun die Aufregung um das Liedchen von der »Umweltsau« höchst aufschlussreich. Offenbar ist eine Zeit angebrochen, der es an jenen allgemein geteilten semantischen Bezugsrahmen mangelt, die gelungene gesellschaftliche Kommunikation erfordert. Denn den - zumindest im Nachhinein - erklärten Sinn der Botschaft, also jene Ironisierung des heuer tatsächlich allgegenwärtigen Klimaklagelieds der Jungen gegen die Alten, hat absolut niemand verstanden.

Die einen begrüßten das Lied als rührend richtigen Appell, weil sie wohl finden, dass über die anbrechende Apokalypse keine Späße gemacht werden dürfen - und nicht sein kann, was nicht sein darf. Und die anderen nahmen es als aggressive Attacke wahr, weil sie sich gar nicht mehr vorstellen können, dass eben solche Späße tatsächlich gemacht werden könnten - und also nicht sie sich hätten angegriffen fühlen müssen, sondern die Pointe eigentlich in ihrem Sinne war.

Der Verlust an einem gesellschaftlichen Allgemeinen, der aus diesem allseitigen Missverstehen spricht, mündet in eine Unfähigkeit zu öffentlicher Kommunikation und Auseinandersetzung. Hierzulande hat man einen solchen Zustand lange in den USA verortet und lauthals verspottet. Doch inzwischen holt Deutschland in landestypischer Gründlichkeit auf. Es greift ein Unwille um sich, Botschaften überhaupt noch auszupacken. Zunehmend begnügt man sich mit dem Blick auf den Absender, der über den Inhalt von Botschaften angeblich immer schon alles sagt.

Findet man nun denselben - bei »Oma-Gate« die vermeintliche linksgrün versiffte Meinungsdiktatur - nur widerlich genug, machen sich Rechtsradikale ohne Weiteres zum Fürsprecher des wohlsituierten Teils der Generation von Babyboom und 1968, um den es geht, wenn Zehnjährige von »Oma« singen. Und umgekehrt steigt dann die Linke ohne Zaudern auf dieses »Anti« ein, indem sie ihm ein »Anti-Anti« entgegenschleudert, das wiederum keinerlei Bezug zur Ausgangsnachricht hat - an deren Reduktion der Klimafrage auf Lebensstil und Generationenkonflikt es genug zu kritisieren gäbe, wenn man sie denn als Appell missversteht.

Gewiss ist es bedenklich, dass das Oma-Liedchen zurückgezogen wurde, wo andere Kritik routiniert abgewiegelt wird, man denke an Dieter Nuhrs Greta-Weltkrieg-Witze. Gerät aber, was dieser »Whataboutismus« immerhin impliziert, die öffentliche Auseinandersetzung zu einem Wettlauf um Sprechverbote, ist diese als solche abgeschafft. Dann leben wir in einem Hyperindividualismus, den im gutartigen Fall schon heute jene 3-D-Brillen-Partys oder Kopfhörer-Tanzveranstaltungen urbaner Hipster aufführen, bei denen sich Gruppen von Menschen im selben Raum zu ganz unterschiedlichem Erleben versammeln - und der sich im bösartigen Fall in einem unversöhnlichen Tribalismus der Haltungen und Identitäten ausdrückt, der nur noch das Eigene und Feindliche kennt und, Carl Schmitt lässt grüßen, jede Beschwörung von etwas dazwischenliegendem Allgemeinen ohne Wenn und Aber zum Betrugsversuch der jeweils Anderen erklärt.

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Auch wenn historische Vergleiche immer hinken, erinnert diese Perspektive pünktlich zu Beginn der 2020er Jahre an die deutschen 1920er, während derer man unter öffentlicher Auseinandersetzung von der Rechten über die Mitte bis zur Linken zunehmend das Aufeinandertreffen militanter Kampfverbände verstand. Wie es hundert Jahre später abermals zu einem Verschwinden des Allgemeinen kommen kann oder konnte, ist eine komplexe Frage, die weit über Filterblasenphänomene hinausreicht und kaum ohne den Blick auf die Auswirkungen jener Art von Politik begriffen werden kann, die sich Margaret Thatchers legendären Leitsatz »So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht« zur Grundlage machte und ihn zugleich verwirklichte. Wenn aber das Umweltsauliedchen in diesem Sinne zu einem Nachdenken darüber führt, warum man heute die harmlosesten Witze erklären muss, wäre diese »Satire« fruchtbar gewesen - auch wenn niemand darüber lachen konnte.

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