Lauwarm und wenig Zeit

Das vor einem halben Jahr eingeführte kostenlose Schulessen bleibt ein Aufreger

  • Anja Sokolow
  • Lesedauer: 4 Min.

Lauwarmes Mittagessen aus Asia-Pappboxen und Plastikbesteck dazu. Das ist seit Monaten Alltag für Schüler der fünften und sechsten Klassen des Eckener-Gymnasiums in Berlin-Mariendorf. »Gegessen wird in der Cafeteria im Foyer der Schule, immerhin können die Kinder sitzen«, erzählt eine Mutter. Das Essen werde immer in die Boxen gestopft. Für die Kinder unappetitlich. Und Müllberge würden obendrein verursacht. Eine Mensa hat die Schule nicht, und Besserung sei trotz verschiedener Beschwerden von Eltern nicht in Sicht.

Auch wenn das Negativbeispiel womöglich nicht repräsentativ ist, so zeigt es doch: Fünf Monate nach dem Start des kostenlosen Mittagessens für bis zu 200 000 Berliner Grundschüler läuft an vielen Schulen bei Weitem nicht alles rund.

Rot-Rot-Grün und hier vor allem die SPD feierten das mit dem neuen Schuljahr eingeführte Angebot als soziale Errungenschaft und weiteren Schritt auf dem Weg zur kostenlosen Bildung von der Kita bis zur Uni. Was sie nicht bedacht hatten: Schulen hatten oft viel zu wenig Zeit, die Umsetzung richtig vorzubereiten.

Und so sind dort bis heute Ideenreichtum und Improvisationstalent gefragt, um das Versprechen der Politik auf eine warme Mahlzeit für jeden Erst- bis Sechstklässler, der das wünscht, auch einzulösen. Denn nun nehmen 20 bis 50 Prozent mehr Schüler am Mittag teil als früher, wie die Bezirke berichten. Das sei schon räumlich eine Herausforderung.

»An einigen Schulen waren Umbauarbeiten nötig, zum Beispiel für zusätzliche Essensausgabestellen oder Stromanschlüsse«, schildert Mittes Baustadtrat Carsten Spallek (CDU). Einige Bauprojekte seien noch im Gang. »Hinzu kam die Beschaffung zusätzlichen Inventars, von Tischen, Stühlen, Geschirr, Besteck oder Geschirrspülern.«

In Spandau, Pankow, Steglitz-Zehlendorf oder Reinickendorf wurden Unterrichts-, Hort- und Projekträume oder zuvor anderweitig genutzte Zimmer zu Essensräumen, Ausgabestellen oder Spülküchen umgewidmet. Manche Schulen haben keine Mensa, hier sind im Zuge eines vom Land finanzierten »Notprogramms« An- oder Neubauten geplant, aber auch die Anmietung zusätzlicher Räumlichkeiten in Schulnähe. An der Astrid-Lindgren-Grundschule in Spandau essen Schüler vorerst in einem Zelt.

Was etlichen Eltern neben solchen Provisorien Sorgen macht, ist der Schichtbetrieb beim Mittag. Eine Hetzerei nennen das manche Eltern; Wilfried Nünthel (CDU), zuständiger Bezirksstadtrat in Lichtenberg, spricht von »Rhythmisierung der Essensausgabe«. Weil Platz fehlt, müssen die Klassen in einem bestimmten Zeitfenster essen gehen und dann mehr oder weniger schnell Platz machen für den nächsten Durchgang.

Bleibt da genug Zeit zum Abholen und Verspeisen der Mahlzeit? Werden die Kinder satt? »Die Zeit, die einem Kind zur Verfügung steht, hat sich nicht verändert, lediglich die Dauer der Essenausgabe«, erläutert Neuköllns Bildungsstadträtin Karin Korte (SPD). In Pankow steht nach Einschätzung von Bezirksstadtrat Torsten Kühne (CDU) dem »überwiegenden Teil der Schüler ein angemessenes Zeitfenster zur Verfügung« - aber nicht immer die 60 Minuten, die die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt. An der Essensqualität und -menge habe sich im Übrigen nichts geändert, versichern die Bezirke.

Das Berliner Bündnis Qualität im Ganztag, dem unter anderem die Bildungsgewerkschaft GEW und der Paritätische Wohlfahrtsverband angehören, zeichnet ein etwas anderes Bild. »Zu voll, zu laut, zu hektisch«, lautet sein Urteil zum Ablauf des kostenlosen Schulessens.

Vielfach entsprächen allein schon die Räume nicht »den Ansprüchen einer pädagogisch wertvollen Essenssituation«, fand das Bündnis auf Basis einer - nicht repräsentativen - Umfrage unter Lehrern und Eltern mit 532 Teilnehmern heraus. Dadurch nähmen Konflikte und Aggressivität zu. Drei Viertel der Befragten bezifferten die Essenszeiten auf 5 bis 25 Minuten, was viel zu wenig wäre. »Es muss ganz schnell etwas passieren, der Ganztag braucht mehr Platz und mehr Personal«, fordert GEW-Landeschefin Doreen Siebernik.

Die Caterer haben eigenen Angaben zufolge dagegen keine Probleme mit der Umsetzung. Das halbe Jahr habe zur Vorbereitung gereicht. »Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht«, sagt Rolf Hoppe, Vorsitzender des Verbands der Berliner und Brandenburger Schulcaterer. Die Mitgliedsunternehmen seien schließlich wirtschaftlich agierende Betriebe. Statt der bisher 120 000 Schulessen würden nun täglich 170 000 Essen vorbereitet, so Hoppe. Der Verband vertritt etwa ein Dutzend Unternehmen aus der Branche.

»Die Umsetzung des kostenlosen Mittagessens war für viele Schulen innerhalb der kurzen Zeit nicht einfach zu bewerkstelligen«, räumt Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) ein. »Aber durch das besondere Engagement des gesamten pädagogischen Personals vor Ort ist es möglich geworden. Dafür bin ich Erzieherinnen und Erziehern sowie Lehrkräften außerordentlich dankbar.«

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