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Freie Fahrt voraus
Claus-Peter Reisch ist vom Vorwurf freigesprochen worden, bei Seenotrettung rechtswidrig gehandelt zu haben
Claus-Peter Reisch hatte sich nicht mit dem Urteil auf Malta gegen ihn zufrieden gegeben und Widerspruch eingelegt. Das lohnte sich für den Kapitän der Nichtregierungsorganisation Mission Lifeline. Das Gericht in Maltas Hauptstadt Valletta hat ihn am Dienstag freigesprochen, mit einem falsch registrierten Schiff unterwegs gewesen zu sein, und die Geldstrafe von 10 000 Euro aufgehoben.
Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, die Staatsanwaltschaft habe nicht beweisen können, dass Reisch kriminelle Absichten gehabt habe. »Das Urteil war lange überfällig«, sagte Reisch dem »nd«. Es sei »bedauerlich, dass es zwölf Sitzungen gedauert hat, um meine Unschuld festzustellen«. Man müsse nun »nach vorne schauen, wie es insgesamt mit der zivilen Seenotrettung weitergeht«, sagte der 58-Jährige.
Reisch und seine Crew der Nichtregierungsorganisation (NGO) Mission Lifeline hatten im Juni 2018 vor der libyschen Küste 234 Geflüchtete gerettet und mussten knapp eine Woche auf dem Mittelmeer ausharren, weil Italien und Malta ein Anlegen des Schiffes »Lifeline« in ihren Häfen ablehnten. Erst als mehrere EU-Mitgliedsländer zugesichert hatten, Menschen von dem Schiff aufzunehmen, durfte Reisch mit der »Lifeline« in Malta vor Anker gehen.
Der Kapitän wurde aber kurzzeitig festgenommen und das NGO-Schiff von den Behörden beschlagnahmt. Im Mai vergangenen Jahres verurteilte ein Gericht in Valletta Reisch zu einer Geldstrafe von 10 000 Euro. Der Vorwurf lautete, das Schiff, das unter niederländischer Flagge fuhr, sei nicht ordnungsgemäß registriert gewesen. Reisch legte Berufung ein.
Axel Steier, Mitbegründer und Sprecher von Mission Lifeline, nannte die Entscheidung des Berufungsgerichts am Dienstag ein »überraschendes Urteil«. »Wir haben den Eindruck, dass die Augen sehr auf Malta gerichtet sind aufgrund des Mordes an der Journalistin Daphne Caruana Galizia und der schleppenden Ermittlungen zu dem Fall«, sagte Steier dem »nd«.
Das Schiff »Lifeline«, das die maltesischen Behörden seit Juni 2018 nicht freigegeben hatten, wird nun der NGO zurückgegeben, »allerdings werden wir es nicht mehr einsetzen können«, erklärte der Mission-Lifeline-Sprecher. Die Regularien in den Niederlanden für Privatschiffe hätten sich geändert und als Berufsschiff sei es auch nicht unter deutscher Flagge einsetzbar. Das neue Schiff der NGO erfülle diese Kriterien. Die »Rise Above«, benannt nach einem Lied der Punkband Black Flag, wie Steier sagt, benötige noch einige Teile wie ein Ultraschallgerät, bevor es einsatzbereit sei, sagte der Sprecher.
Lasst es einfach bleiben
Marion Bergermann über den Sieg von Claus-Peter Reisch
Trotz dieses für Reisch erfreulichen Urteils hat er weiterhin Ärger mit der Justiz. Denn nach der Anklage in Malta war er wieder als Kapitän von einem Seenotrettungsschiff unterwegs. Diesmal mit dem Schiff »Eleonore«. Als er Anfang September 2019 mit über 100 Menschen an Bord tagelang nicht in einen Hafen einlaufen durfte, rief er den Notstand aus und steuerte den Hafen von Pozzallo auf der italienischen Insel Sizilien an. Mit dem Notstand ist es erlaubt, sich bei akuter Gefahr über behördliche Entscheidungen hinwegzusetzen.
Laut Mission Lifeline forderte die Staatsanwaltschaft in Ragusa, Sizilien, für diese Aktion 300 000 Euro Strafe und 20 Jahre Haft. Erst kurz zuvor, im August, hatte Italien unter dem damaligen Innenminister Matteo Salvini (Lega) strengere Gesetze verabschiedet, mit denen unter anderem Kapitäne, die Geflüchtete auf ihr Schiff aufnehmen, mit Strafen von bis zu einer halben Million Euro belegt werden können. Im Februar soll laut Mission Lifeline der Prozess in Ragusa beginnen.
Reischs Festnahme und spätere Verurteilung geschah in einer Phase zunehmender Kriminalisierung von zivilen Seenotretter*innen. Während es in seinem Fall jedoch nun ein zweites Urteil zu seinen Gunsten gab, müssen andere weiterhin bangen.
Gegen die Kapitäninnen Pia Klemp und Carola Rackete der Organisation Sea-Watch gibt es noch keine Urteile. Die italienischen Behörden wollen sie für ähnliche Rettungsaktionen wie die von Reisch belangen. Im Falle von Klemp sei bisher nicht einmal Anklage erhoben worden, sagte Ruben Neugebauer, Sprecher von Sea-Watch, dem »nd«.
Auch Helfer*innen wie Sarah Mardini und Sean Binder wurden von griechischen oder italienischen Behörden angeklagt, die Prozesse aber fallengelassen oder noch nicht entschieden.
»Dass das Urteil revidiert wurde, ist ein Zeichen, dass nicht Seenotretter die Schuldigen sind, sondern europäische Staaten eine Abschottungspolitik durchsetzen, die ihren eigenen Grundrechten widerspricht«, kritisierte Neugebauer.
Der Sea-Watch-Sprecher verlangte im Zuge dessen eine Entschuldigung von Innenminister Horst Seehofer. Der CSU-Politiker hatte im Juni 2018 gesagt, dass die Festsetzung der »Lifeline« Voraussetzung dafür sei, dass Deutschland Menschen von dem Schiff aufnehme. Weil das Schiff eineinhalb Jahre festgesetzt war, »hat Horst Seehofer damit eine Mitschuld daran, dass seitdem weiter Menschen ertrunken sind«, so Neugebauer.
Ska Keller, Grünen-Vorsitzende im EU-Parlament, begrüßte Reischs Freispruch. »Lebensretter wie Claus-Peter Reisch übernehmen durch ihren Einsatz die humanitäre Pflicht und Verantwortung, vor der sich EU-Regierungen drücken«, sagte sie dem »nd«. Sie forderte, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten ein ziviles Seenotrettungsprogramm ins Leben rufen.
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