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Modernisierungsstau bei Hofe

Die Unabhängigkeitserklärung von Harry & Meghan rührt ans Kernproblem der Monarchie

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Erklärungen der Unabhängigkeit sind bei den Briten derzeit »in«. Schottland will ein zweites Independence-Referendum, durchs kleine Wales geistern ähnliche Ideen, vorab der Brexit - und nun das: Harry & Meghan, innerhalb der Royal Family Herzog und Herzogin von Sussex, beschlossen, aus der ersten Reihe der Königsfamilie zurückzutreten, »finanziell unabhängig« zu werden und ihr Leben mit Sohn Archie in Britannien und Nordamerika zu führen. Verkündet auf Instagram, ohne Vorwarnung an die Queen. Für sie war Harry (35) bisher Lieblingsenkel, doch sein Alleingang bricht mit sämtlichen Gepflogenheiten der Krone. Kein Kavaliersdelikt.

Seit der Erklärung der Youngsters, von denen sich die Monarchie eigentlich einen Schub an Modernisierung und Nahbarkeit ersehnt hatte, ist der Hof in einer Krise, die er grad nicht gebrauchen kann: Mit einer Königin, die in drei Monaten 94 wird, rückt die Thronfolge nach vorn. Und der nahende Austritt aus der Europäischen Union braucht jetzt erst recht ein Königshaus, das Ruhe und Bestand ausstrahlt. Nachdem erst kürzlich Prinz Andrew, der Bruder von Thronfolger Charles, wegen höchst befremdlicher Nähe zu dem US-Millionär und verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein seiner Pflichten fürs Königshaus enthoben werden musste, kommt die Extratour von H & M ganz ungelegen.

»Der Palast« wird rasch eine Antwort finden wollen, zumindest etwas, was man so nennen kann. Intern rief die Queen dazu auf, binnen weniger Tage eine »tragfähige Lösung« zu erarbeiten. Aus Erfahrung weiß auch der Hof, je länger so etwas züngelt, desto heftiger sprießen Zweifel an Sinn und Zweck des Königshauses. Das ist eine Lehre etwa aus dem Kommunikationsdesaster nach dem Tod von Harrys Mutter Diana (»Lady Di«) im Sommer 1997, als die Queen mit tagelangem Schweigen Unverständnis, Zorn, schließlich Wut erzeugte und öffentlich der Herzenskälte gegenüber der »unsterblichen Königin der Herzen« und deren halbwüchsigen Kindern geziehen wurde.

Die tieferen Motive von Harrys und Meghans Rückzugsgefecht sind im Grunde klar. Seit ihrer Hochzeit 2017 und dem Einzug in die royale »Firma« ist deren Entfremdung gegenüber dieser rasch gewachsen. Auch das Wissen, dass Harry als Sechster in der Thronfolge realistisch nie mit seiner Krönung rechnen darf, fördert Frust. Viel schwerer jedoch wiegt der Horror, der sich durch die besonders mächtigen britischen Paparazzi-Medien aufbaute - für die junge Mutter oft sexistisch und rassistisch aufgeladen, für Harry voller Kindheitserinnerungen an die Hatz auf seine Mutter, die Princess of Wales. »Der Angriff des Großteils der Medien auf die Sussexes seit ihrer Erklärung«, schrieb der »Guardian« in einem Leitartikel, »offenbart einen Teil des Problems. Und in dieser Lage ist es auch keine Hilfe, dass Britannien gerade eine von einem Journalisten geführte Regierung gewählt hat, der Geschichten erfunden hat und dessen Wahlprogramm für die Presse ein Blankoscheck für weitere Schmutzkampagnen ist.« All das erklärt Harrys Leitmotiv für seine Unabhängigkeitserklärung: »Ich habe eine Familie, die ich beschützen muss.« Was könnte es Nobleres geben.

Dennoch wird der Rückzug nicht so erfolgen, wie von H & M gedacht. Ihr Fortschrittsvorstoß ist ein Zwittergeschäft. Einerseits erklären sie, sie würden sich weiter als Mitglieder der königlichen Familie begreifen und das Familienoberhaupt, die Queen, weiterhin unterstützen. Andererseits wollen sie selbst bestimmen, wie, wo und in welchem Maße sie sich künftig für die Windsors engagieren. Zur Hälfte Royals bleiben und die Rosinen genießen, zur anderen Hälfte moderne Bürger werden, befreit von den goldenen Ketten des Hofes - das wird auch ein modernisierungswilliger Charles, der kommende König, nicht leicht billigen. Die eisige Antwort aus Buckingham Palace auf den Wunschzettel zeigte schon, Charles wird sich das Heft des Handelns nicht so schnell aus der Hand nehmen lassen.

Ihre Instagram-Erklärung, die die zwei wie eine späte Silvesterrakete abfeuerten, wird wohl als Rohrkrepierer enden. Eine Zwitterrolle aus Staatsbürger und Mitglied der Königsfamilie ist im absurden Theater der britischen Monarchie nicht angelegt. Mit seiner Initiative tritt das junge Paar einen Unabhängigkeitskrieg los, den es kaum gewinnen kann. Britannien durchlebt seine schwerste politische Zeit seit Langem. Der Brexit und die darin sichtbare Stimmungskluft halten das Land über Jahre in einer Zerreißprobe gefangen. Das Königreich ist alles andere als vereint, vielmehr ganz neuen Fliehkräften in ganz neuer Stärke ausgesetzt. Schottland, Nordirland und Wales fühlen sich von England und der Politik Londons entweder gegängelt oder vernachlässigt, oder beides, und erwägen Alleingänge.

Der Brexit erfolgt zum Monatsende, überstanden ist er damit nicht. Hauen und Stechen stehen trotz Wahlsiegs von Boris Johnson noch bevor. Wenn nun auch Elizabeth II., das letzte Symbol gefühlten Zusammenhalts des Königreichs, aus den eigenen Reihen in Unruhe versetzt wird, gerät die Monarchie unter neuen Druck. Dabei weiß bereits heute jeder, dass Elizabeths Nachfolger weder bei den Briten noch im Commonwealth einen Denkmal-Status wie die Queen er- und behalten wird. Länder wie Kanada oder Australien, deren offizielles Staatsoberhaupt die Königin ist, stellen schon länger die Frage: Wie rechtfertigt sich solche Fremdherrschaft im 21. Jahrhundert? Von da ist die Kernfrage nicht weit: Woraus überhaupt leitet die Monarchie ihre Existenzberechtigung in einer weithin weltlichen und individualistischen Welt ab?

Der zitierte Leitartikel des »Guardian« schrieb mit Blick auf den H & M-Vorstoß: »Ihr Instinkt war richtig, ihre Aktion mutig. Es ist absurd, dass jenseits von Monarchin und Thronfolger die jungen Royals nicht angehalten sind, sich bezahlte Arbeit zu suchen bzw. sich dafür ausbilden zu lassen. In anderen Monarchien, die meisten von ihnen populär, sind solche Karrierewege ganz normal.« Gewiss gäbe es einen klareren Ausweg aus dem Modernisierungsstau der britischen Monarchie als den jetzigen Ausbruchsversuch. Wer eine Monarchie tatsächlich modernisieren will, schafft sie ab. Das wiederum wird bis auf Weiteres auf der Insel natürlich nicht geschehen. Eine so klassische, so stoische und so skurrile Monarchie wie die britische besitzt für viele Menschen im Land und für erstaunlich viele außerhalb, auch in Deutschland, einen viel zu hohen, ja unwiderstehlichen Unterhaltungswert.

Vor gut 150 Jahren kommentierte dies der englische Staatsrechtler und Journalist Walter Bagehot wie folgt: »Solange das menschliche Herz stark ist und die menschliche Vernunft schwach, wird die Monarchie stark sein.«

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