Drohung mit Kindesentzug als Mittel der Repression

Kurdische Aktivistin könnte das Sorgerecht für ihre Kinder verlieren. Familiengericht eröffnet Verfahren

  • Jana Klein
  • Lesedauer: 4 Min.

Zozan G. ist schon lange politisch aktiv. Sie hat ihre Wurzeln in Kurdistan. Die Überfälle des türkischen Militärs und islamistischer Milizen auf die syrischen Kurdengebiete können sie deshalb nicht kalt lassen. Das gilt auch für die Nachrichten über Verwandte und Familienfreunde, die in der Türkei inhaftiert sind. Einige protestieren mit Hungerstreiks gegen ihre Haft - oder gegen die Totalisolation des seit mehr als 20 Jahren inhaftierten Anführers der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan.

Nun droht Zozan G. der Entzug des Sorgerechts für ihre fünf Kinder. Der Vorwurf lautet: Kindeswohlgefährdung. Denn ihre 13-jährige Tochter L. nimmt an legalen Protestaktionen der kurdischen Bewegung in Deutschland teil. Bei einem Marsch kurdischer Aktivist*innen von Mannheim nach Karlsruhe im Februar 2019 trug sie eine Weste mit Öcalan-Porträt. Auch ihre Schwester S. war dabei. Weil die PKK in Deutschland als »terroristische« Vereinigung verboten ist, steht auch das Zeigen von Öcalan-Bildern unter Strafe. Der polizeiliche Staatsschutz beobachtete den Protest - und legte Akten über Zozan G. und ihre Kinder an.

Ein weiterer Vorwurf: G. soll bei einer Aktion im März 2019 am Düsseldorfer Landtag als Kontaktperson zu den Medien fungiert haben, während im Innern des Parlamentsgebäudes Aktivist*innen den Zugang versperrt hätten. Laut Behörden soll G. per Handzeichen die Auflösung der Aktion angeordnet haben, an der auch Tochter L. beteiligt war.

Zozan G. widerspricht dieser Darstellung. Sie habe der verängstigten Tochter nur das Verlassen der Aktion nahelegen wollen, sagt sie im Gespräch mit »nd«. Eine Besetzung sei nie geplant gewesen, sondern die Übergabe eines Dossiers. Nur weil Beamte die Aktivist*innen hätten rauswerfen wollen, hätten diese sich im Foyer auf den Boden gesetzt.

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe beschloss, beim Jugendamt wegen des Marsches über die örtliche Polizei eine Eingabe zu machen. Noch bevor sich das Jugendamt die Situation in der Familie anschaut, wird ein Verfahren vor dem Familiengericht eröffnet. Auch die Kinder werden befragt. Die Strafverfolgungsbehörde wirft Zozan G. vor, ihre Kinder zu indoktrinieren und ihre Nähe zur PKK-nahen Unterstützerszene zu fördern. Die Mutter und ihre Töchter betonen hingegen, dass sie sich freiwillig politisch engagieren. Von geplanten Aktionen erführen die Mädchen beispielsweise über Onlinemedien. Sie ermuntere ihre Kinder, eigene Meinungen zu entwickeln und Werte wie Mitmenschlichkeit zu vertreten, sagt Zozan G.

Tim Engels, Anwalt von G., sagt: »Aus meiner Sicht hätte es im Hinblick auf die jüngeren Kinder ausgereicht, auf den Bericht der hinzugerufenen Verfahrensbeiständin zu warten.« Die rät ebenfalls von der Befragung der Kinder ab, insbesondere beim sechsjährigen Sohn S., der aufgrund eines Hörfehlers entwicklungsverzögert ist. Doch auch er wird zur Aussage gezwungen. Die Mutter habe zu Recht befürchtet, dass der Junge dadurch in seiner Entwicklung »noch einmal zurückgeworfen« werden könne, so Engels im Gespräch mit »nd«. Und: »Ich meine, dass man kaum von einem Kind in diesem Alter erwarten kann, dass es irgendwas zu politischen Zusammenhängen erklärt, die in der Familie bestehen oder nicht.« Befragt wurde der Sechsjährige dennoch.

Anwalt Engels vergleicht die Drucksituation, die für die Kinder durch das Verfahren entsteht, mit derjenigen in Scheidungsverfahren: »Sie kommen in einen Loyalitätskonflikt. Und es ist für sie ohnehin belastend, vor einem Gericht auszusagen.« Der Vorgang erinnere ihn an Maßnahmen zu Zeiten der Kommunistenverfolgung unter Konrad Adenauer in der Nachkriegszeit der Bundesrepublik oder an die Zeit des Faschismus. Zozan G. berichtet, dass die Befragungen der Kinder heftige Auswirkungen auf das Familienleben haben: »Es geht ihnen schlecht.« Sie litten unter großen Verlustängsten.

Besonders absurd: Vertreter des Jugendamts besuchten die Familie und zeigten sich danach überzeugt, dass alles in Ordnung ist. Eine Kindeswohlgefährdung sei nicht erkennbar gewesen, Tochter L. ein unauffälliges Kind mit guten schulischen Leistungen. Das Familiengericht will das Verfahren trotzdem fortsetzen.

Zozan G. sagt: »Das Vorgehen der Justiz ist eine Drohung gegen alle politisch aktiven Mütter. Sie werden so zur Zielscheibe.« Sie sieht einen politischen Hintergrund des Verfahrens. Eltern werden durch die Drohung mit dem Entzug des Sorgerechts unter massiven Druck gesetzt. Die Gefahr, die eigenen Kinder zu verlieren, wirke sich auf die Wahrnehmung von Rechten wie Versammlungs- und Redefreiheit aus, sagt die kurdische Mutter.

Seit dem Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei hat die Repression gegen Kurden in Deutschland zugenommen. In diversen Verfahren wurde etwa das Zeigen der kurdischen Nationalfarben Gelb, Rot und Grün als Ersatzsymbol für die seit 1993 verbotene PKK gewertet. Oft kam es zwar zur Einstellung der Verfahren. Den Verfolgungsdruck haben die Aktiven dennoch gespürt. Andere wurden verurteilt, obwohl staatliche Stellen in Deutschland etwa das Zeigen der Farben sehr unterschiedlich werten. Aktivist*innen werfen der Bundesrepublik vor, als verlängerter Arm des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdoğan zu agieren. Das sieht auch Zozan G. so.

Weder das Amtsgericht Oberhausen noch das Jugendamt haben Anfragen des »nd« beantwortet. Während der jetzt für den 22. Januar angesetzten Verhandlung vor dem Amtsgericht wollen Unterstützer*innen von Zozan G. demonstrieren.

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