- Kommentare
- Smartphone
Wer mittels Sprachnachrichten kommuniziert, ist egozentrisch
Roberto De Lapuente ist von Menschen genervt, die laut in ihre Smartphones quatschen, ohne eine Antwort abzuwarten
In meiner Jugend hatten wir eine Frau in unserem Stadtteil, die ständig im Gespräch war. Mit sich selbst. Mal redete sie laut auf sich ein, dann begegnete man ihr, während sie leise und verschwörerisch mit sich selbst konspirierte. Ich kann mich nicht erinnern, ob sich je unsere Wege kreuzten, während sie schwieg. Die Frau war ein ausgesprochenes Kommunikationstalent, sie wusste sich ständig zu unterhalten. Natürlich sprach man über sie. Wie man das halt so tut. Die kultivierteren Klatschtanten bedauerten sie, weil sie ganz offenbar geistig verwirrt war. Auch ohne psychologisches Gutachten konnte man das wohl so stehenlassen.
Die Zeiten haben sich gewandelt. Seit Monaten begegnen mir im Grunde täglich mehrere Personen, die sich in tiefste Selbstgespräche verstrickt haben. Sie reden laut vor sich hin, richten ihre Worte nicht an ein menschliches Gegenüber, sondern an ein elektronisches – an ihr Smartphone. Dass sie in diesen stylischen Kubus hineinquatschen, ist im Grunde der einzige Unterschied zu jener Frau, die mir aus früheren Tagen meines Lebens in den Sinn kam.
Sprachnachrichten sind der neue, heiße Scheiß
Gemeint ist übrigens nicht, dass sie ganz banal telefonieren. Das tun immer weniger. Wer heute was auf sich hält, kommuniziert mittels Sprachnachrichten. Kurzen Sprachsequenzen, die als Monolog an jemanden verschickt werden, der ihnen dann bei Bedarf lauscht. Durchaus auch so, dass andere, die damit nichts zu tun haben, sich daran erfreuen dürfen. Dementsprechend hält man sein Handy heute auch anders, nämlich nicht mehr klassisch so, dass man Ohr und Mund gleichberechtigt am Gerät teilhaben lässt. Nein, man hält sich das Ding vor den Mund wie ein Burrito oder unter das Kinn wie eine Schüssel beim Löffeln einer Suppe.
Wie es der Zufall so will, befasste sich kürzlich erst der Philosoph Wolfram Eilenberger in seiner Kolumne im »Philosophie Magazin« mit dieser neuen Mode. Er hält diese Form der Kommunikation gar nicht für einen neues Ding oder einen Trend, sondern für eine »weitere Gesamtverschiebung der mobilen Revolution«. Man beobachte hier den Sprung vom »direkten dialogischen Wort (Handyanruf) über die spielerisch getippte Nachricht (SMS) hin zur monologischen Auf- und Abnahme des Dahingesprochenen (meist per App)«.
Sprechen ist leichter als Schreiben
Begründet sieht Eilenberger das in dem zunehmenden rationalen und ökonomischen Umgehen mit Zeit. Man müsse sich beim »bloßen Hinsagen einer Message nun mal weitaus weniger Sorge und Aufmerksamkeit« machen, als bei der Verschriftlichung eines Gedankens. Natürlich muss man in unserer schnelllebigen Epoche immer davon ausgehen, dass Entwicklungen auf das Zeitmanagement zurückzuführen sind. Ob das bei dieser Entwicklung als Erklärungsversuch reicht, wage ich allerdings zu bezweifeln.
Eilenbergers Begründung zur Abkehr vom Dialog vergisst etwas: Wir leben nicht nur in Tagen, da man seine zeitlichen Abläufe optimiert, wie Frederick Winslow Taylor einst Arbeitsläufe. Nein, der Monolog ist mehr als ein effektiver Kommunikationsansatz – er ist Egozentrik, man spricht mit jemanden, schließt aber aus, dass er darauf reagieren kann, nachfragt, ins Wort fällt oder widerspricht. Normale Affekte, die der klassische Dialog in mannigfaltigen Variationen bereithält. Die Sprachnachricht überwindet den Nächsten als natürliches Hemmnis innerhalb eines Gesprächs. Sie klammert ihn als aktiven Part aus und verdammt ihn dazu, eine passive Rolle zu längst Gesagtem einzunehmen.
Die Sprachnachricht ist ein ganz fundamentaler Bestandteil der modernen Selbstoptimierung. Sie erhebt die so Kommunizierenden in die Rolle des Gesprächsführers, stellt eine Abwehrhaltung zu aufgedrückten Gesprächsaffekten dar. Man spricht nicht mehr miteinander, sondern aneinander vorbei, nimmt dem Gespräch jegliche Dynamik und macht den Monolog zum neuen Dialog. Wir sind so weit gekommen, dass wir miteinander sprechen als Selbstgespräch vollziehen können.
Nun gebe ich mich vielleicht als ein gestriger Mensch zu erkennen. Aber nach wie vor gucke ich schief, wenn jemand neben mir leidenschaftlich spricht, ohne dass jemand bei ihm steht. Spricht er leise und bedächtig, nehme ich es als banales Selbstgespräch wahr. Wer neigt nicht manchmal dazu? Aber dieses Monologisieren, ich weiß nicht, vielleicht ist nicht jeder, der das so hält, psychisch verwirrt. Aber dieser Zeitgeist, der solche Kommunikation normalisiert, ganz ehrlich, der kann nicht ganz dicht sein.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!