»Es ist seefräuische Pflicht, zu retten«

Stephanie Lehmann ist Schauspielerin und Sängerin. Gerade hält sie Bordwache auf der »Eleonore« von der Seenotrettungsorganisation Mission Lifeline auf Sizilien

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 7 Min.

Wie geht es der »Eleonore«?

Sie liegt ja schon ein paar Monate hier. Ich weiß nicht, was der Plan von Mission Lifeline ist. Aber bevor man mit ihr wieder herausfahren kann, müsste man sicherlich einiges daran machen.

Es bekommt einem Boot nicht, nur im Hafen zu liegen?

Nein, ein Boot will unterwegs sein.

Sie selbst würden, nehme ich an, auch lieber auf dem Meer unterwegs sein, um dort zu helfen?

Das ist der Sinn der Sache. Du willst Menschen retten. Aber das, was wir jetzt machen, hilft eben auch. Es ist nicht ganz so spannend. Aber es ist für mich eigentlich ganz gut, denn wenn ich jetzt auf eine Mission gehen würde, dann ungern als Kapitänin. Dazu kenne ich das ganze Prozedere zu wenig. Ich würde lieber ganz einfach als Deckshand mitkommen.

»Deckshand« - also Matrose?

Genau.

Wie läuft so ein Tag im Hafen als Bordwache ab?

Wir sind hier zu dritt, und eigentlich sind wir damit beschäftigt, zu warten. Wir mussten etwas Papierkram erledigen und räumen ein wenig das Schiff auf. Wir gucken, was es noch an Lebensmitteln gibt, die von der Rettungsaktion im August und September übrig geblieben sind. Ansonsten ist es unser Job, präsent zu sein, auch für den Fall, dass das Schiff bewegt werden muss.

Warum haben Sie sich als Freiwillige bei Mission Lifeline gemeldet?

Als ich 2015, 2016 im Fernsehen die Bilder von den überfüllten Schlauchbooten gesehen habe, dachte ich: Viele meiner Freunde haben Deutschkurse für Geflüchtete organisiert und sie bei Behördengängen begleitet. Was ich kann, ist Boot fahren. Ich bin seit vielen Jahren Seglerin und Skipperin im Freizeitbereich. Ich habe Leute an der Segelschule ausgebildet, ihnen Yachtsegeln beigebracht. Und egal welchen Schein du machst, ein ganz wichtiger Punkt ist immer: Seenotrettung ist Pflicht.

Das also lernt man auf jeder Segelschule: Seenotrettung hat die höchste Priorität?

Genau. Denn es ist ja so: Wenn ich mit dem Auto eine Panne habe, rufe ich den ADAC. Auf dem Wasser funktioniert das halt nicht. Wenn ich da einen Brand an Bord habe oder jemand verletzt ist, dann muss ich mich darauf verlassen können, dass da Leute sind, die mir helfen. Genauso wie ich bereit sein muss, anderen zu helfen, solange es nicht mein eigenes Leben, meine eigene Mannschaft, mein eigenes Schiff gefährdet. Das ist einfach eine seemännische und seefräuische Pflicht.

Wie wird man eigentlich Skipperin?

Ich habe Segeln gelernt, bin mit meinem Vater segeln gewesen, hatte eine längere Pause und habe dann angefangen, Scheine zu machen, den Binnensportbootführerschein und den Seesportküstenschifferschein. Auf der Segelschule fanden sie mich ganz gut im Umgang mit Menschen. Es reicht ja nicht, ein Schiff gut führen zu können. Du musst auch mit Leuten umgehen können. So habe ich als Segellehrerin angefangen. Es ist aber nicht mein Hauptberuf. Ich bin eigentlich Schauspielerin, am KOM’MA-Theater in Duisburg, dem Kinder- und Jugendtheater der Stadt, das wir als freie Gruppe betreiben. Und ich habe auch noch eine eigene Band, die »Lehmann’s Bros«.

Das können Sie so einfach ruhen lassen?

Es ist nicht ganz einfach. Deshalb bin ich auch nicht die zwei, drei Wochen da, die so eine Schicht eigentlich dauert, sondern nur zehn Tage. Aber vom Theater aus unterstützen sie mich. Momentan haben wir auch keine Spieltermine, planen vor allem die Saison, tüten Briefe ein und solche Sachen. Wenn es etwas Wichtiges für mich gibt, rufen mich die Kollegen an, und wir klären das so.

Wie traurig ist es für Sie als Skipperin, dass die Rettung von Geflüchteten im Mittelmeer nicht mehr die höchste Priorität hat und sogar unter Strafe gestellt wird?

Sehr traurig. Die Politiker haben es geschafft, es so zu drehen, dass mehrere NGO-Leute wegen Menschenschmuggel angeklagt sind. Das ist natürlich völliger Blödsinn. Denn die Menschen kommen ja, weil es ihnen richtig schlecht geht. Sie sind so verzweifelt, dass sie auf ganz furchtbare Boote steigen und lieber sterben, als zurück nach Libyen zu gehen. Im letzten Jahr war es ziemlich eng mit der zivilen Seenotrettung. Sea-Watch war an der Kette, Mission Lifeline war an der Kette, andere auch. Die europäische Mittelmeeroperation »Sophia« wurde eingestellt. Und trotzdem sind die Leute auf die Boote gegangen. Und sie sind ertrunken. Man hat es nur kaum mitgekriegt, weil es keiner gesehen hat.

Wie diskutieren die Segler und Seeleute darüber, dass Seenotrettung im Mittelmeer jetzt faktisch verboten ist?

Das können die wenigsten verstehen. Selbst die konservativsten unter den Seglern und Skippern, würde ich mal unterstellen, haben einfach eine ganz klare Position: Es ist Seemannspflicht, zu retten.

Wäre es besser, wenn mehr Seeleute, die noch wissen, was Seenotrettung bedeutet, in der Politik wären?

Ich glaube schon, dass es wichtig ist, das auch stärker von der seemännischen Seite her zu betrachten. Stellen Sie sich vor, zwischen Libyen und Malta gerät ein Kreuzfahrtschiff in Seenot. Auf Seite 1 der Zeitungen steht dann die Katastrophenmeldung. Von allen Seiten kommen Leute, die helfen wollen. Denn es ist völlig selbstverständlich: Das sind gute Europäer oder Amerikaner, vielleicht noch Japaner. Aber weil die Leute hauptsächlich weiß sind und auch noch ein paar Deutsche darunter sind, würde in Deutschland ganz groß darüber berichtet. Ich will da nicht polemisieren. Aber es ist ein Unterschied.

Es ist ein rassistischer Unterschied.

Richtig. Es ist rassistisch, was da passiert, in meinen Augen jedenfalls.

Sollten Sie doch demnächst auf Mission gehen: Machen Sie sich Gedanken darüber, in welche Zukunft Sie die Leute entlassen, die Sie retten? Viele Frauen aus Afrika, die in Italien auf Tomatenplantagen arbeiten, werden wirtschaftlich und sexuell ausgebeutet.

Diese Verantwortung kann ich gar nicht übernehmen. Ich kann nur diese akute Lebensbedrohungssituation beenden. Ansonsten kann ich nur hoffen, dass Staaten sagen: Ja, wir nehmen die Personen auf und kümmern uns.

Den Kapitänen Claus-Peter Reisch von der »Lifeline« und Carola Rackete von der »Sea-Watch 3« drohen in Italien Prozesse, Geld- und Gefängnisstrafen. Schränkt Sie das in Ihrem eigenen Handeln ein?

Erst einmal denke ich nicht darüber nach, weil ich jetzt auch nicht auf Mission gehe. Wie gesagt, ich würde die erste Mission nicht als Kapitänin mitfahren wollen. Wenn es nicht anders geht, okay. Aber dann würde mir schon die Muffe gehen, aber aus anderen Gründen. Ich würde mich fragen, ob ich der Mission gewachsen bin, ob ich mir zutraue, für Schiff und Crew und unter Umständen für die Geretteten alles gut regeln zu können. Ich würde mir aber nicht so viele Gedanken darüber machen, ob ich verhaftet werde oder nicht.

Menschenleben retten ist nicht links
Marion Bergermann über Kapitän Claus-Peter Reisch, der an Land bleibt

Sie haben also noch keine Benefizveranstaltungen in Ihrem Theater geplant, um Geld für Anwälte aufzutreiben?

Sagen wir mal so: Ich habe die Überlegung, ein Benefiz zu machen, aber nicht für meine Anwälte, sondern generell für die Seenotrettung. Da will ich mit meiner Band so etwas machen. Die wissen das noch nicht, aber ich weiß das.

Hat sich Ihr Verhältnis zum Meer verändert durch die Tatsache, dass das Mittelmeer zum Schauplatz von so viel Leid und Tod wurde?

Ja, ich denke schon darüber nach, wenn ich da zum Spaß rumsegle. Nun ist Mallorca, wo ich viel unterwegs bin, ziemlich weit weg von den üblichen Routen. Aber auch da wurden schon verlassene Boote gefunden. Manche haben es also bis dahin geschafft, obwohl das viel nördlicher ist als Malta oder Sizilien. Und klar mache ich mir Gedanken darüber, dass das Mittelmeer zum Massengrab wird.

Zynische Frage, aber kann man überhaupt noch die Fische essen, die sich von den Leichenteilen auf See ernähren? Man isst die Toten dann ja quasi mit.

Gute Frage. Ich weiß es nicht. Ich esse auch immer weniger Fisch.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!