Falscher Fokus

Das Feinbild Stadtmensch nützt in der Agrardebatte der Lebensmittelindustrie.

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Städter ist ja angeblich so: kosmopolitisch, liberal und in der Debatte um Agrarpolitik auf jeden Fall öko-beseelte Mittelklasse. Er kauft überteuerte Gras-Smoothies in hippen Eventlocations und will Bauernhöfe, auf denen die Bäuerin ihren Tieren abends persönlich ein Gutenacht-Lied singt. Und ganz sicher hat er keine Ahnung, wie es wirklich ist auf dem Land. Dennoch maßt er sich an, genau zu wissen, wie in der Landwirtschaft gearbeitet wird und noch schlimmer: wie es besser laufen muss.

Der Agrarunternehmer im Ruhestand und Landwirt, Willi Kremer-Schillings, der öffentlichkeitswirksam als Bauer Willi auftritt, bemüht dieses Feinbild mit Vorliebe. »Die Kluft zwischen Stadt und Land wird größer«, schreibt der Blogger und fügt an: »Die Städter laden ihren Müll, ihre Freizeit, ihre Träume von idyllischer Landwirtschaft und ihre urbanen Lebensentwürfe auf dem Land ab. Und reagieren aggressiv, wenn die Menschen dort etwas anderes wollen.« Und Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) stellt zu Beginn der Grünen Woche fest: »Eine allein städtisch zentrierte Sichtweise wird von der ländlichen Bevölkerung zu Recht als Kampfansage verstanden.«

Der Buchautor Andreas Möller hat mit seinem Buch »Zwischen Bullerbü und Agrarfabrik« dieses Phänomen der Entfremdung zwischen Stadt und Land betrachtet und viele Seiten mit den unterschiedlichen Sichtweisen aus dem deutschen Feuilleton gefüllt. »Warum dabei diese Härte der Kritik?«, fragt er und macht neben den Folgen der intensiven Landwirtschaft einen Grund aus, der nichts mit der Landwirtschaft zu tun hat: Die Landwirtschaft sei einfach an der Reihe, nach Waldsterben, saurem Regen und durch die Chemieindustrie vergifteten Flüssen und vor allem nach dem Ende der Atomkraft und der »leiser werdenden Klimadebatte«. Der Städter wird als Moralapostel skizziert, der keine negativen Konsequenzen fürchten muss, wenn er Atomausstieg oder Verzicht aufs Auto fordert. Hier sei nur kurz daran erinnert, wie viele gesellschaftliche Kämpfe um Atomenergie auf dem Lande stattgefunden haben. Doch Möller macht nicht den Fehler, die Landwirte als Gegenbild zu glorifizieren. Dennoch - so folgert er am Ende seines Werkes - fehlt es in erster Linie an der Vermittlung, am Dialog.

Die Aqua-Farm in der Stadt
In Berlin-Lichtenberg sorgt der Afrikanische Raubwels für eine gesunde Pflanzenproduktion.

All diese Diskussionsbeiträge haben mehrere Punkte gemeinsam. Sie argumentieren nicht politisch. Dabei ist Landwirtschaft politischen Rahmenbedingungen ausgesetzt. Wer sich nur auf die Erzeuger*innen auf der einen Seite und die Konsument*innen auf der anderen Seite bezieht, vernachlässigt dabei viele Zwischenschritte der Ernährungsbranche. Das nützt weder den Bauern und Bäuerinnen noch den Verbraucher*innen. Es nützt der Ernährungsindustrie, den Molkereien und den Agrarkonzernen.

In der Debatte geht es viel um emotionale Momente. Die Wut der Bauern, die Arroganz der Städter. Erste sind alle Umweltsäue, letztere wissen immer alles besser. Sicher, das nervt, aber es gibt auch 80 Millionen Bundestrainer*innen in Deutschland, und niemand würde deshalb fordern, die Ränge in den Stadien lieber leer zu lassen.

Ein weiterer Punkt ist, dass durch die Gleichsetzung von Stadtmensch und Verbraucher*in die Landbewohner*innen nicht vorkommen - solange sie nicht zu den wenigen Menschen gehören, die noch in der Landwirtschaft arbeiten. Während es jedoch den meisten Menschen in der Stadt egal ist, wo genau eine neue Schweinemastanlage gebaut wird, sind Vorhaben dieser Art Orte direkter Auseinandersetzungen auf dem Land. Auch Konflikte zwischen konventionell und ökologisch orientierten Landwirt*innen finden real statt. Debatten dazu werden in den Lokalzeitungen geführt, von Menschen, die durchaus wissen, wie Gülle riecht. Die aber auch wissen, wie dramatisch das Höfesterben ist, weil es um ihre Nachbarn geht. Gleichzeitig gibt es sowohl auf dem Land wie auch in der Stadt unzählige Menschen, denen es völlig egal ist, wie und wo ihr Essen produziert wird. Sie alle treffen sich bei Lidl und Kaufland vor dem Regal.

Denn die überwiegende Zahl der Verbraucher*innen ist darauf angewiesen, ihr Essen im Supermarkt zu kaufen. Zu den Bedingungen des Lebensmittelhandels. Mit weiten Wegen, auf dem Land sogar noch mehr als in der Stadt. Lebensmittelwüsten gibt es in ganz Deutschland. Wochenmärkte mit regionalen Produkten sind im gesamten Land rarer gesät als Discounter.

Agrarministerin Klöckner wendet sich gegen eine »städtisch zentrierte Sichtweise«. Die CDU-Politikerin will das Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft verbessern. Dafür schlägt sie Dialogforen vor. Auffällig ist: Vertreter*innen der Lebensmittelbranche fehlen. Aldi oder Lidl verkaufen Lebensmittel jedoch nicht zu günstigen Preisen, weil sie ein Herz haben für Menschen mit wenig Geld, sondern weil sie mit diesem System am meisten Profit machen. Die Marktmacht liegt viel weniger bei den Verbraucher*innen als bei den Handelskonzernen. Sie bestimmen die Preise und die Handelsbedingungen. Sie treiben Höfe in den Ruin.

Es schadet also nicht, wenn Landwirt*innen und Verbraucher*innen miteinander reden. Notwendig ist aber, dass Agrarpolitik in den Blick nimmt, wer vom heutigen System profitiert.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.