- Wirtschaft und Umwelt
- Kohlekommission
Schachbrett mit Kraftwerken
Mitglieder der Kohlekommission kritisieren scharf die Bund-Länder-Ausstiegspläne - den Bruch scheuen sie
Die Bund-Länder-Einigung zum Kohleausstieg aus der vergangenen Woche birgt jede Menge Risiken: für Klimaschutz, die Energiepolitik und die Gesellschaft im Ganzen. Darauf weisen Mitglieder der einst von der Bundesregierung eingesetzten Kohlekommission hin. Das Gremium aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften, Wissenschaft und Umweltverbänden hatte in monatelangen Debatten im Januar 2019 einen Kompromiss ausgearbeitet. Trotzdem setzen sich Bund und Länder in zentralen Punkten über diesen hinweg.
Was nun droht, war schon am Montagabend zu ahnen. Da versuchte das Bundeswirtschaftsministerium in einer langen »Information zur Kohleverständigung«, der zunehmenden Kritik an der 50 Milliarden Euro teuren Bund-Länder-Einigung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der vereinbarte Stilllegungspfad bei der Braunkohle sei »klimapolitisch stringent«, verkündete das Ministerium. In den 2020er Jahren würden alle älteren, emissionsstärkeren Braunkohleblöcke vom Netz gehen. Dann erst folgten die neueren.
Gerade bei der Braunkohle spricht eine am Dienstag von ehemaligen Mitgliedern der Kohlekommission vorgelegte Stellungnahme eine andere Sprache. Der Brief an Kanzlerin Angela Merkel ist unterzeichnet unter anderem von der Kommissionsvorsitzenden Barbara Praetorius, den Chefs der Umweltverbände BUND, Greenpeace und Deutscher Naturschutzring (DNR), von Antje Grothus von der Bürgerinitiative Buirer für Buir, dem Energieexperten Felix Christian Matthes und dem Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber.
Auf einer Pressekonferenz in Berlin verdeutlichte Matthes, dass der Ausstiegspfad bei der Braunkohle der »klimapolitische Knackpunkt« des Kohlekompromisses ist. Man könne Kraftwerke nicht wie auf einem Schachbrett einfach hin- und herschieben, erläuterte er. Wenn Bund und Länder nun versuchten, eine längere Laufzeit von Braunkohlekraftwerken dadurch zu kompensieren, dass man ein paar ganz alte Steinkohlemeiler früher stilllege, werde es nicht ansatzweise gelingen, die klimaschädlichen Effekte wettzumachen.
Vereinfacht gesagt: Weil Braunkohlestrom deutlich am »schmutzigsten« ist, lässt sich deren Stilllegung nicht 1:1 durch Steinkohlekraftwerke gegenrechnen. Um die CO2-Emissionsminderung, die durch Stilllegung von 1000 Megawatt Braunkohle erreicht werden, zu kompensieren, müsste man um die 3000 Megawatt Steinkohle vom Netz nehmen.
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Der Energieexperte kritisierte zudem, dass Bund und Kohleländer nunmehr die meisten Braunkohlekraftwerke bis kurz vor den jeweiligen Stichjahren 2030 und 2038 laufen lassen wollen. Folge dessen sei dann eine Art »wasserfallartiges« Abschalten 2028/2029 sowie 2037/2038.
Dass man erst »nichts« tue und dann riesige Stromerzeugungsleistungen abschalte, führt laut Matthes zu Mehremissionen von etwa 40 Millionen Tonnen CO2 sowie zu »starken Brüchen«, die für den Strommarkt schwer zu verkraften seien. Bund und Länder schlügen damit eigene Warnungen vor Gefahren für die Versorgungssicherheit in den Wind.
Matthes hält auch die in Aussicht gestellten Milliardenentschädigungen gerade für die Braunkohle für klimapolitisch kontraproduktiv, zumal in Kombination mit späten Abschaltterminen. Selbst bei einem hohen CO2-Preis im europäischen Emissionshandel, der den Braunkohlestrom in die Verlustzone bringe, könnten die Betreiber die Anlagen problemlos über Jahre weiterlaufen lassen - solange die Verluste kleiner seien als die Entschädigungszahlungen. Die, so Matthes, ins »Fenster gestellten« Entschädigungen minderten die Wirkung des Emissionshandels. Das sei ein weiterer »Kollateralschaden« des Abweichens vom Kohlekompromiss.
Neben der Braunkohle erbost noch ein Punkt der Bund-Länder-Einigung besonders die Umweltschützer: Die Bestandsgarantie für den Hambacher Forst am Tagebau Garzweiler wird mit dem Abbaggern weiterer Ortschaften für RWE-Braunkohle verknüpft. Diese »unnötige und unwiederbringliche Zerstörung von Dörfern« sei nicht akzeptabel, heißt es in der Stellungnahme. Überdies sei die von RWE geplante »Insellösung« für den Hambacher Wald »empörend«. Jahrelang habe RWE beteuert, dass dieser vom Tagebau nicht umfahren werden könne, weil das die mittelfristige Austrocknung des Waldes und die Zerstörung dahinter liegender Dörfer bedeute. Nun solle genau das geschehen.
In der Stellungnahme vermeiden es die Kritiker allerdings, den Kohlekompromiss aufzukündigen, der ihnen seinerzeit selbst nicht weit genug ging. Die Teilnahme an der Kommission war in den Umweltverbänden umstritten.
Auch DNR-Präsident Kai Niebert sprach am Dienstag klar vom »Verstoß« gegen den Kohlekompromiss, er stehe aber weiter hinter diesem. Allerdings ließ er seinem Ärger freien Lauf. Wie könne es sein, fragte er, dass man einen »mühsam ausgehandelten Kompromiss nach Art von Hasardeuren den ostdeutschen Ministerpräsidenten zum Fraß vorwirft« und die ganze Kohledebatte noch mal von vorn losgehe? Er fühle sich »betrogen« - auch von der Kanzlerin.
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