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Porträt des Künstlers als Ware

Der vielseitige Timm Ulrichs hat den Käthe-Kollwitz-Preis erhalten und zeigt seine Werke in Berlin

  • Stefan Ripplinger
  • Lesedauer: 5 Min.

Früher verkauften die Künstlerinnen und Künstler ihre Werke, heute verkaufen sie sich selbst. Timm Ulrichs war der Erste, der diese Rolle ohne Wenn und Aber angenommen und auch schon ganz zu Ende gedacht hat. Ohne ein sonderlich gewiefter Selbstverkäufer zu sein, hat er sich konsequenter, schlichter und witziger als andere zur Ware gemacht. Er ist insofern der beispielhafte Künstler unserer kapitalistischen Zeit.

Umso mehr erstaunt es, dass er ausgerechnet den Käthe-Kollwitz-Preis erhalten hat. Denn was verbindet Ulrichs mit Kollwitz? Um es so großzügig wie möglich zu formulieren: nicht viel. Allerdings hält Ulrichs wie Kollwitz nichts von Eliten und wendet sich an alle, die klug genug sind, seine Werke zu verstehen. Er habe sie sofort verstanden, besitze allerdings als ihr Hersteller einen natürlichen Vorteil. Anders als Kollwitz weist Ulrichs nicht auf die Missstände unserer Zeit hin, vielmehr beutet er deren grundlegenden Missstand aus. Und damit sind wir wieder beim Selbst als Ware. Denn zur Ware werden, heißt, seinen Gebrauchswert zu verlieren und zu einem beliebigen auszutauschenden Ding zu werden. Es ist eine Art von Enteignung, aber auch von Verallgemeinerung.

Ulrichs hat den ganzen Vorgang durchexerziert. Er hat sich als Kunstwerk beworben und ausgestellt, er hat sich selbst signiert oder ein Copyright auf sich angemeldet, er hat sich ins Musterregister eingetragen, er hat seine sämtlichen Körpermaße nehmen, sich von innen (per Magensonde) und außen filmen und dokumentieren und sogar einmal von einem Detektiv beschatten lassen. Selbst sein toter Körper wird ein Kunstwerk bleiben. Wenn sich seine Augen für immer schließen, wird darauf »The End« (1970/1981) stehen, das hat er sich aufs Lid tätowieren lassen. Wenn er nichts mehr sieht, ist auch für uns die Vorstellung vorüber. Selbst einen Grabstein hat er sich bereits errichtet; darauf das Paradoxon: »Denken Sie immer daran, mich zu vergessen« (1968), das ist ebenso lustig, aber nicht ganz so bösartig wie der Epitaph, den sich Marcel Duchamp meißeln ließ: »Es sterben doch immer die anderen.«

Ulrichs richtet sich nicht nur an andere; er gehört längst nicht mehr sich selbst, sondern allen, die ihn anschauen, sammeln und, noch besser, kaufen wollen. Merkwürdigerweise will das fast niemand. Dafür ist er zu direkt, zu genau, zu nüchtern. Der Kunstmarkt mag es nicht, wenn seine Geheimnisse ausgeplaudert werden.

Es verstört die Kunstliebhaber, dass zur Ware werden auch bedeutet, alle intimen, anheimelnden Eigenschaften zu verlieren. Wer sich entäußert, entleert sich auch. Gerade weil Ulrichs sich ganz preisgegeben hat, wissen wir so gut wie nichts über ihn. Sein »Selbst-Porträt« (1970/71) besteht aus einer Zeltplane, die exakt so groß ist wie seine Körperoberfläche, 18 360 Quadratzentimeter. Höhepunkt der Externalisierung. Und was er an sich selbst demonstriert, demonstriert er an seinen zahlreichen Werken: Sie bringen sich als Ware auf den Begriff oder den Wert und entgleiten uns so. Das »Bildrückseitenbild« (1968) beispielsweise ist einfach die Rückseite irgendeines Gemäldes, nämlich sein Keilrahmen, damit nachprüfbar das künstlerische Ding, aber ohne Inhalt. Besonders verblüffend, ja schockierend ist diese Inhaltslosigkeit in einem Bereich, in dem Inhalt und Bedeutung fast alles sind, nämlich in der Sprache.

Die kleine Ausstellung, die die Akademie der Künste dem Preisträger widmet, konzentriert sich deshalb auf die Konkrete Poesie und die Schriftbilder. Seine blasphemische Tat in diesem Bereich ist eine minimale Manipulation am Johannesevangelium: »am anfang war das wort am« (1962). Selbstbezüglichkeit in reiner Form bietet auch ein durchlaufendes LED-Leuchtband: »Eine Tautologie ist eine Tautologie ist eine Tautologie ...« (1969/70), das selbst wieder eine Tautologie, also in allen möglichen Welten wahr ist. Hätte Nam June Paik das erdacht, man hätte sich ergriffen zum Meditieren niedergelassen, der Ulrichs-Kenner lacht und geht weiter.

Ulrichs’ Kunst pendelt zwischen Kalauer und strenger Philosophie. Neben Scherzen findet sich etwa eine Reflexion auf das Schweigen, das alle Wörter so in sich birgt wie das Licht die Farben. An die »Bibliothek von Babel« des Jorge Luis Borges erinnert das »Literarische Gesamtwerk« (1968 ff.), das aus den alten Farbbändern seiner Schreibmaschine besteht. Darauf, wenn auch unlesbar, alles, was er auf ihr schrieb und im Prinzip alles nur Denk- und Schreibbare. Unendlich viel sollte es wiederum nicht sein, er fasse sich gern kurz, sagt er, und würde als Minister eine »Wortsteuer« einführen.

Auf einem Foto von der Schreibmaschine seiner Mutter hat er die vier Tasten in der obersten Reihe, zwischen dem Q und dem Z, geschwärzt, also »WERT«. Dieses »Wert-Papier« (1968) könnte die Quintessenz seiner Waren-Kunst sein, es enthält den Wert und entzieht ihn zugleich, es ist da und zugleich woanders.

Andere Künstler, namentlich Gerhard Richter, seien wie blinde Hühner, sie fänden einmal ein Korn, an dem sie dann ein ganzes Leben lang picken. Ihm, Timm Ulrichs, dagegen falle an guten Tagen eine »Jahrhundertidee« ein, wenn er über die Straße geht, und ist er auf der anderen Straßenseite, gleich noch eine zweite. Davon, wie ideenreich der Mann ist, kann sich das Berliner Publikum im März überzeugen, wenn anlässlich des 80. Geburtstages des Künstlers das Haus am Lützowplatz eine stetig wachsende Ausstellung zeigt. Am Anfang ist der Ausstellungsraum völlig leer. Jeden Tag - und das Ganze dauert wie die Documenta 100 Tage - kommt ein neues Werk hinzu. Der wahre Kenner muss also 100 Mal hin, und nur der ganz Schlaue kommt erst zur Finissage.

»Käthe-Kollwitz-Preis 2020. Timm Ulrichs: Weiter im Text«, bis 1.3., Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Berlin. Katalog: 10 Euro.

»Timm Ulrichs: Ich, Gott & die Welt. 100 Tage - 100 Werke - 100 Autoren«, ab 6.3., Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, Berlin.

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