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80 Gramm Synthetik

Christoph Ruf sieht Ansätze, wie der auf Gewinn gepolte Fußball zu ökologischer Nachhaltigkeit finden könnte

Die Krise der Printmedien hat auch vor dem Fußball keinen Halt gemacht. Wo es früher (mal mehr, meist weniger lesenswerte) Stadionzeitungen gab, wird dem geneigten Fan heute allenfalls noch ein faltbarer Flyer in die Hand gedrückt. Der ein oder andere Verein ist im Gegenzug dazu übergegangen, ein in regelmäßigen Abständen erscheinendes Magazin als Kompensation herauszugeben, in dem im Idealfall auch mal ein hintergründiges Interview oder eine gut geschriebene Geschichte steht. Ganz vorne ist da das Magazin »Spielfeld« der TSG Hoffenheim, das von zwei renommierten Journalisten verantwortet wird und sich Zeit und Geld nimmt, die Geschichten mit Grafiken und auffallend guten Fotos zu illustrieren. Ich lese das Teil ausgesprochen gerne. Und das, obwohl man mir schon viel vorgeworfen hat, nur nicht, dass ich Hoffenheim-Fan wäre.

In der aktuellen Ausgabe vom »Spielfeld« findet sich ein Doppelinterview mit Dietmar Hopp und Andreas Rettig, der seit einigen Jahren erster Ansprechpartner ist, wenn Journalisten jemanden aus der Branche suchen, der auch mal querdenkt. Das spricht für Rettig, es spricht aber auch Bände über den Profifußball, in dem sich die Protagonisten über PS-Stärken, goldene Steaks und die Quadratmeterzahl von Tattoos auf Eigenhaut definieren. Politische Aussagen dürfen nicht vorkommen, weil von der FIFA bis hin zu den immer mächtiger werdenden Spielerberatern alle wissen, dass eine eigene Meinung geschäftsschädigend ist, wenn man bereit ist, jeden Euro anzunehmen.

Es ist also durchaus bemerkenswert dass die TSG, die über beste Verbindungen zu DFL und DFB verfügt, Rettig nicht nur zu Wort kommen lässt, sondern ein Interview abdruckt, in dem Hopp himself (»Weihnachten ist nahezu immergrün, Überschwemmungen nehmen zu«) ihm nicht nur in der Analyse beipflichtet, sondern auch anregt, dass jeder Verein künftig drei Prozent seines Etats für CSR-, also karitative und soziale Projekte ausgeben muss. Das wäre grob geschätzt ein höherer zweistelliger Millionenbetrag allein in der ersten Liga. Doch Rettig benennt auch Ursache und Wirkung: »Im Fußball ist unser Denken verhaftet in Themen, wie möglichst viel Geld generiert werden kann«, sagt er. Es sei aber falsch, »sich jedes Jahr nur über Gewinnmaximierung und Umsatzsteigerungen zu definieren.« So verstehe er nicht, »dass wir definieren, wie viele Quadratzentimeter die Werbung auf dem Trikot umfassen darf, aber zu ökologischen Themen gibt es null Vorgaben in den Lizenzierungsvorschriften der DFL.«

Rettig wird schon wissen, warum es in Deutschland so viele Fußballfunktionäre gibt, in deren Hobbykellern ein Rettig-Foto auf der Zielscheibe ihres Dartspiels klebt - die DFL ist schließlich der Zusammenschluss aller 36 Profivereine. Wäre die Mehrheit der Vereine ebenfalls der Ansicht, dass Handlungsbedarf besteht, wäre es also schon lange beschlossen. Immerhin: Markus Rejek, kaufmännischer Geschäftsführer von Arminia Bielefeld, hat am Freitag in einem Interview in der »Neuen Westfälischen Zeitung« ebenfalls laut über ökologische Kriterien als Teil der Lizenzierungsauflagen nachgedacht. Sein Verein habe in Sachen Ökologie jedenfalls noch großen Nachholbedarf. Das gilt auch für die meisten der anderen 35 Klubs.

Tatsächlich sind einige der Forderungen, die Rettig erhebt, hochpolitisch. Für Solaranlagen oder Pfandbecher gilt das vielleicht weniger, aber die Überlegung, dass das Merchandising »nachhaltig« produziert werden soll, hat es in sich. De facto werden derzeit so gut wie alle Fantrikots in Billiglohnländern zusammengeschustert. Die angeblichen ethischen Richtlinien, die sich die Sportausrüster angeblich gegeben haben, sind in Sachen Arbeitsschutz und Kinderarbeit Makulatur. Hier etwas zu tun, wäre tatsächlich eine der dringlichsten Aufgaben für die Vereine im Profifußball.

Wenn sich jetzt auch noch ein paar mehr Fans als bisher grundsätzliche Gedanken machen, kann die von Rettig angestoßene Diskussion wirklich noch spannend werden. Wenn dort, wo die Fantrikots hergestellt werden, bei den Näherinnen und Nähern nur ein paar Cent bleiben, das 80-Gramm-Synthetikprodukt hierzulande aber für Preise von 60 bis 130 Euro verkauft wird, macht ja irgendjemand einen ganz großen Reibach. Doch bis den Profiteuren von Ausbeutung und Umweltzerstörung im Fußballbusiness wirklich einmal mulmig wird, müssen wohl noch viele Interviews geführt werden.

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