Wahlkampf auf Hochzeiten

Die kurdischstämmige Cansu Özdemir ist Spitzenkandidatin der Hamburger LINKEN

  • Reinhard Schwarz, Hamburg
  • Lesedauer: 4 Min.

Die jüngste Spitzenkandidatin aller Parteien, die um die Gunst der Hamburger Wahlberechtigten werben, heißt Cansu Özdemir. Die 31-Jährige geht bei der Bürgerschaftswahl für Die LINKE ins Rennen. Gewählt wird das Stadtparlament am 23. Februar.

Özdemir kommt aus dem Osdorfer Born, einer Hochhaussiedlung aus den 1960er Jahren im Westen der Hansestadt. Sie ist Studentin der Politikwissenschaft und hat einen »Migrationshintergrund«, wie die kurdischstämmige Politikerin unterstreicht. »Meine Großeltern kamen als klassische Gastarbeiter nach Hamburg-Altona.« Ihre Familie sei in linken Vereinen aktiv gewesen. »Von daher war ich schon im Kinderwagen bei Demos gegen die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei dabei.«

Zur organisierten Politik kam Özdemir, weil sie mit 21 Jahren bei einer Delegationsreise der Hamburger LINKEN in den kurdischen Gebieten der Türkei dolmetschte. »Ich war beeindruckt vom Einsatz der Mitglieder für die Friedenspolitik und habe mich dann entschieden, dort mitzuwirken.« 2011 kandidierte sie erfolgreich für die Bürgerschaft. Nach der Wahl 2015 wurde sie mit Sabine Boeddinghaus in die Doppelspitze der Fraktion gewählt. Dabei kam es zu einem Eklat, weil Dora Heyenn, die damalige Spitzenkandidatin und langjährige Vorsitzende, nicht wieder gewählt wurde; im Zorn verließ sie Fraktion und Partei. Am Kurs der LINKEN hat sich nach dieser Krise grundsätzlich nichts geändert, sie kritisiert die Armut in einer der reichsten Städte Europas, kämpft gegen Hartz IV, Lohndumping, Rassismus und protestierte 2017 gegen den G20-Gipfel.

Vor neuen Herausforderungen steht die Hamburger LINKE etwa seit dem Aufkommen der »Fridays for Future«-Bewegung, an deren Demonstrationen sich auch in Hamburg Tausende bis Zehntausende beteiligen. Wurde da etwas verschlafen? »Ich denke nicht«, sagt Özdemir. Viele glaubten, wenn sie Grün wählten, stimmten sie zugleich für die Positionen von Fridays for Future. »Das halte ich für einen Irrtum.« Die Öko-Partei profitierte von der Bewegung, obwohl sie in Hamburg keine grüne Politik machte, bemerkt Özdemir und ergänzt, Klimaschutz müsse sozial gerecht sein. »Warum sollen Menschen mit geringem Einkommen die Kosten für den Klimaschutz bezahlen, während die Industrie weitgehend verschont bleibt?«

Eng damit verbunden sei die Mobilität, erläutert Özdemir. Da sei es kontraproduktiv, wenn der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Hamburg Jahr für Jahr teurer werde. »Wir haben deshalb in der Bürgerschaft den Antrag gestellt, dass Kinder, Schüler, Studenten und Senioren den ÖPNV kostenlos nutzen dürfen.« Teuer ist auch der Wohnraum. Gerade ärmere Hanseaten haben bei steigenden Quadratmeterpreisen kaum Chancen. »Viele machen sich Sorgen, ob sie zukünftig ihre Wohnung noch bezahlen können«, so Özdemir.

Auf ihrer Agenda steht auch die Friedenspolitik: »Wir sind die einzige Partei, die sich gegen die Verschiffung von Waffen über den Hamburger Hafen wendet.« Die Grünen hätten die Waffenexporte zwar auch kritisiert, als sie noch in der Opposition waren, aber geändert habe sich unter ihnen im Senat nichts, bemängelt die LINKE. Ihr Engagement für Frieden und Freiheit der Kurden hat Cansu Özdemir vor ein paar Wochen eine Verwarnung und eine Geldbuße eingebracht. Auf einem Foto der dpa war sie mit der Fahne der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sehen. Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts hat sie Einspruch eingelegt.

Nicht nur bei Demos geht Özdemir gern auf die Straße. Auch Hausbesuche im Wahlkampf gefallen der 31-Jährigen. Es gebe zwar Leute, die nicht mit ihr reden wollten, aber sie werde ebenso zum Tee hereingebeten. »Ich werde sehr viel zu kurdisch-türkischen Hochzeiten eingeladen. Da kommen dann nicht 100 oder 200 Leute, sondern gleich 500.« So entstehen Beziehungen zu Menschen, mit denen die meisten Wahlkämpfer nicht einmal Kontakt haben. Auch mit Teilen der türkischen Community sowie bosnischen oder iranischen Gewerbetreibenden spreche sie gern.

Doch in Umfragen sind die Werte der Hamburger LINKEN zuletzt gesunken: Während die SPD laut Infratest dimap aktuell bei 32 Prozent liegt und die Grünen mit 27 Prozent ihren Anteil mehr als verdoppeln würden, liegt Die LINKE um die zehn Prozent. Wieder zeichnet sich eine rot-grüne Regierung ab - oder umgekehrt, mit der SPD als Juniorpartnerin. Was nützt ihrer Partei das schönste Programm, wenn sie es nicht umsetzen kann? »Die LINKE ist kein Mehrheitsbeschaffer, der nur dazu da ist, die bestehende Politik fortzusetzen«, sagt Cansu Özdemir dazu. Die Spitzenkandidatin gibt sich trotz allem optimistisch. Von Umfragewerten solle man sich nicht verrückt machen lassen.

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