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Eklatante Defizite
Missbrauch auf dem Campingplatz in Lügde: Aussagen offenbaren eine Kette des Versagens
Düsseldorf. Die ersten Zeugenvernehmungen im Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags zum Kindesmissbrauch in Lügde haben am Freitag eklatante Defizite im Umgang mit dem Fall offenbart. Demnach gab es gravierende Kommunikationsmängel zwischen Jugendamt und Familienhilfe und - trotz mehrerer Hinweise - kein geordnetes Frühwarnsystem über den Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch auf dem Campingplatz in Lügde. Dort hatte es über viele Jahre hundertfache pädokriminelle Übergriffe auf zahlreiche Kinder gegeben. Ein Vater, der den Haupttäter ertappte, lief nach eigenen Angaben bei Polizei und Jugendamt auf.
Bei einem Grillfest in Pyrmont habe sich der später zu 13 Jahren Freiheitsstrafe verurteile Pädokriminelle Andreas V. 2016 an seine kleinen Töchter herangemacht, berichtete der 57-jährige Frührentner als Zeuge. Unter anderem habe Andreas V. die Mädchen auf seine Schultern gesetzt. Als er den Mann aufgefordert habe, das zu unterlassen, habe Andreas V. ihm mit einem obszönen Spruch zu verstehen gegeben, warum er die kleinen Mädchen gerne an seinem Hals fühle. »Da habe ich ihm eine gelangt«, sagte der Zeuge. Als er der Polizei und dem Notruftelefon des Jugendamts Hameln von seinen Beobachtungen habe erzählen wollen, hätten die sich für nicht zuständig erklärt, weil Andreas V. in NRW wohne. Das Jugendamt habe ihn sogar vor einer Anzeige wegen übler Nachrede gewarnt. Die Polizei habe ihm später gesagt, sie seien mit dem Jugendamt auf dem Campingplatz gewesen und dort sei »alles in allerbester Ordnung«. Er habe »gekocht«, sagte der Vater von fünf Kindern. »Ich bin selbst Missbrauchsopfer und habe ganz andere Antennen dafür.«
Andreas V. war im November 2018 verhaftet worden, nachdem eine Bekannte des Frührentners den Camper wegen Missbrauchs ihrer eigenen Kinder angezeigt hatte. »Ich hatte sie gewarnt«, sagte der Zeuge.
Ein Sozialpädagoge von der Arbeiterwohlfahrt Höxter sagte, sein erster Eindruck vom Campingplatz in Lügde sei gewesen: »Da muss ein Kind nicht leben, aber das war weit entfernt von Kindeswohlgefährdung.« Von sexueller Gewalt sei im Austausch mit dem Jugendamt nie die Rede gewesen. Der Familienhelfer hatte den später als Haupttäter verurteilten Pflegevater auf dem Campingplatz mehrfach besucht. Der Umgang des Mädchens mit dem Mann sei ihm vertrauensvoll erschienen. Auf dem Campingplatz sei ihm nichts aufgefallen: »Da stand kein Schild an der Tür: Ich habe Sex mit Kindern.«
Dass dem Jugendamt bereits Meldungen über Kindeswohlgefährdung vorgelegen hätten, habe er seiner Erinnerung zufolge auch nicht erfahren. Solche Meldungen bedeuten aber nicht automatisch, dass wirklich etwas Schwerwiegendes passiert sei, meinte der Pädagoge. Einen konkreten Auftrag vom Jugendamt habe er nicht gehabt. Es habe auch keinen schriftlichen Bericht und keine Übergabe vom vormaligen Träger der Familienhilfe gegeben. Das sei so üblich. Er selbst habe keine Notizen oder Akten über den Fall angelegt. Auf die Frage, ob da nicht sämtliche Kontrollmechanismen versagt hätten, antwortete sein Vorgesetzter: »Ich glaube, da ist ganz viel schief gelaufen. Ja.«
Die Abgeordneten im Ausschuss äußerten sich schockiert über die fehlende Kontrolle, Kommunikation und das Verschieben von Verantwortung zwischen den beteiligten Behörden und Trägern. »Sie sehen uns alle ziemlich erschüttert und entsetzt«, sagte FDP-Vizefraktionschef Marc Lürbke. »Da wird ins Blaue gearbeitet und von keinem kontrolliert.« Der CDU-Abgeordnete Dietmar Panske fragte, ob es bei niemandem Fragen aufwerfe, wenn ein 53-jähriger, alleinstehender, arbeitsloser Mann auf einem Campingplatz Pflegevater für eine Siebenjährige werde.
»Mein Raster ist: Habe ich Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung«, antwortete der Sozialpädagoge. Ein Campingplatz oder ein verdreckter Schlafplatz - wie dort vorgefunden - seien keine Kindeswohlgefährdung. Auch nicht, dass der Camper abfällig über Mütter gesprochen und gerne Blondinenwitze gerissen habe. »Wenn das Jugendamt ein Pflegeverhältnis genehmigt, stelle ich das nicht infrage.« Er habe zwar eine Zusatzausbildung zur Kinderschutzfachkraft gemacht, aber das bedeute nicht, dass er Kinder vor Missbrauch schützen könne, sagte der Sozialpädagoge. »Ich bin nicht spezialisiert, Dinge zu sehen, die nicht sichtbar sind.«
Dass Andreas V. Kindern schon zehn Jahre lang sexuelle Gewalt angetan hatte, als er im Sommer 2018 als Familienhelfer auftauchte, habe er nicht wissen können. Es gebe auch kaum Fortbildungsmaßnahmen, um sexuelle Gewalt gegen Kinder zu erkennen, so sein Vorgesetzter. dpa/nd
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