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Nullvariante fliegen die Herzen zu
Wenig Gegenliebe für Signas Karstadt-Neubaupläne am Hermannplatz in Berlin-Neukölln
»Eigentlich vermisse ich gar nichts, also plädiere ich für die Nullvariante«, sagt Godwin Jeschal. Applaus brandet auf im großen Veranstaltungssaal im Neuköllner Refugio. Es geht um die Pläne der vom österreichischen Milliardär René Benko gegründeten Signa-Holding, das Karstadt-Kaufhaus am Hermannplatz abzureißen und stattdessen für geschätzt 450 Millionen Euro eine Replik des einstigen Einkaufstempels aus den 1920er Jahren mit dreimal so großer Geschossfläche hinzustellen. Mindestens 27 Euro Miete pro Quadratmeter müsse Signa verlangen, um die Baukosten wieder hereinzuholen, rechnet eine Besucherin vor.
Die »Nullvariante« bedeutet, dass alles so bleibt, wie es ist. Das ist auch die Haltung der Politiker auf dem Podium, allesamt Grünen-Mitglieder: Susanna Kahlefeld, Sprecherin für Beteiligung im Abgeordnetenhaus, die zuständigen Stadträte von Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln, Florian Schmidt und Jochen Biedermann, sowie Julian Schwarze, Fraktionschef der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg. Es ist Dienstagabend, über 150 Menschen sind zur Diskussion über die Zukunft des Hermannplatzes gekommen.
Die Stadtplanungsbehörden beider Bezirke haben dem Vorhaben von Signa deutlich negative Zeugnisse ausgestellt. »Eine über dem Qualitätsschnitt der hier angrenzenden Bezirksbereiche liegende Hochwertigkeit und damit Hochpreisigkeit des Bauprojektes könnte das Umfeld ›adeln‹ und Aufwertungstendenzen verstärken, beispielsweise durch andere, zahlungskräftigere Wohnungsnachfrager, mit dem Ergebnis, dass es zu sozialen Spannungen mit der derzeitigen Bewohnerschaft und zu deren Verdrängung kommen könnte«, heißt es in einer »nd« vorliegenden Einschätzung aus Neukölln. Das Papier kommt wohlgemerkt aus der fachlichen Ebene, nicht aus der politischen. Dennoch hat sich im Januar der Stadtentwicklungsausschuss der BVV Neukölln mit Mehrheit von SPD und CDU für das Projekt ausgesprochen. Da das Grundstück auf Friedrichshain-Kreuzberger Gebiet liegt, hat das zwar eine symbolische, aber keine praktische Bedeutung.
Susanna Kahlefeld warnt vor einem Südtiroler Beispiel. »In Bozen ist es Signa zunächst nicht gelungen, die Politik zu korrumpieren, sondern die Bürger«, berichtet sie. Mit einer teuren Kampagne konnte der Konzern die Stimmung in der Bevölkerung drehen, in einem Referendum votierten zwei Drittel der Abstimmenden für die Errichtung eines Einkaufszentrums. Die »Scheinbeteiligung«, die Signa am Hermannplatz veranstalte, gehe in die gleiche Richtung. Auch Thibault Chavanat als Vertreter von Signa sitzt im Publikum. Er bedankt sich für die Diskussion und sagt: »Wir haben in den letzten 15 Jahren 50 Prozent des Umsatzes verloren. Deswegen müssen wir etwas tun, um den Standort zu erhalten.« Über eine Quersubventionierung durch das Bauprojekt soll das gelingen, so die offizielle Begründung.
Doğan Azman von der Deutsch-Türkischen Unternehmervereinigung ist einer der wenigen Fürsprecher im Publikum. Als er 1985 bei Karstadt seine Ausbildung begann, arbeiteten dort noch 1000 Menschen. Heute seien es 220. »Lassen Sie uns doch mal darüber reden, wie wir am Standort mehr Arbeitsplätze bekommen«, fordert er. Die Tür vor dem Investor zuzuknallen sei nicht richtig. Er kritisiert auch, dass in den Diskussionen der migrantische Teil der Bevölkerung keine Rolle spielt.
Eine Kerbe, in die auch Niloufar Tajeri von der Initiative Hermannplatz schlägt. »Wir haben schon bald 2000 Unterschriften gesammelt, wo ganz klar wird: Die Leute wollen keinen Abriss«, erklärt sie. »Was wir nicht wollen ist, dass der Hermannplatz noch weißer wird. Es ist ein Ort, um Communities zu treffen«, so die Afrodeutsche Meret Weber.
Große Angst, dass der Senat die Zuständigkeit für die Planung an sich ziehen könnte, weil der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) im vergangenen Jahr weitere Gespräche forderte, hat man im Bezirk nicht. Dieser könne fordern, sei aber nicht zuständig, sondern Bausenatorin Katrin Lompscher (LINKE), sagt Julian Schwarze. »Ich habe bisher nicht gehört, dass sie diese Absicht hätte, das zu tun«, so der Fraktionschef weiter. Er kann dem Vorstoß des Konzerns auch Positives abgewinnen: Der Hermannplatz sei nun im Fokus. »Signa hat den Stein ins Wasser geworfen«, so Schwarze. Nun sei es Aufgabe der Politik, eine Stadtentwicklung für die Menschen vor Ort zu machen.
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