Nukleare Gehilfen

Vor 60 Jahren wurde der »Starfighter« als Träger von Atomwaffen in der Bundeswehr eingeführt - das Flugzeug war schon bald als »Witwenmacher« berüchtigt.

  • René Heilig
  • Lesedauer: 7 Min.

Vor ein paar Tagen warb Johann Wadephul, Vize-Fraktionschef der Union, für die deutsch-französische Zusammenarbeit im Atomwaffenbereich. Man sollte bereit sein, »sich mit eigenen Fähigkeiten und Mitteln an dieser nuklearen Abschreckung zu beteiligen«. Schließlich habe der französische Präsident Deutschland aufgefordert, mehr Europa zu wagen. Nun könne Macron zeigen, dass er dazu wirklich bereit ist. Natürlich, so Wadephul, werde das alles noch »seine Zeit brauchen. Aber die Debatte muss jetzt beginnen«.

Jetzt? Mein Gott, die Debatte gibt es seit den Tagen der (west-)deutschen Wiederbewaffnung. Bereits Mitte der 1950er Jahre hat die Bundesregierung über Möglichkeiten zu eigener nuklearer Bewaffnung nachgedacht. Kanzler Konrad Adenauer, Spitzenmann der CDU, wollte es - laut Protokoll einer Regierungssitzung von 1956 - schon damals nicht länger ertragen, dass Deutschland ein »Atomprotektorat« ist. Parallel dazu malten Propagandisten die »Rote Gefahr« an die Wand. Man verbot die Kommunistische Partei als Moskaus »Fünfte Kolonne« und stellte Divisionen auf, um »dem Russen« den Weg zum Atlantik zu verwehren.

Dumm nur, dass damals weder die USA noch deren nuklearer Juniorpartner in London daran dachten, ihre nukleare Macht mit den Deutschen zu teilen. Frankreichs Force de frappe bestand erst als Idee. Zudem hatte sich die Bundesrepublik 1954 völkerrechtlich verpflichtet, keine Atomwaffen herzustellen. Was tun?

Franz Josef Strauß (CSU), Adenauers dynamischer Verteidigungsminister, wusste eine Antwort: Wenn wir Superwaffen weder konstruieren noch bauen dürfen und auch nicht an hochangereichertes Uran oder Plutonium herankommen, könnten wir uns doch wenigstens als nukleare Gehilfen dienstbar machen. Die Idee gefiel dem Kanzler; und es gelang ihm, deutsche Gier als Forderung der Nato darzustellen. Was fehlte, waren geeignete Trägermittel. Zwar rückten die USA ein paar taktische Raketen heraus, auch Rohrartillerie wurde für Atomgranaten optimiert. Doch: Richtig wichtig, so das Bonner Kalkül, ist man erst, wenn die Luftwaffe atomwaffenfähig ist.

Just zu dieser Zeit ging der US-Flugzeugbauer Lockheed mit einer Entwicklung hausieren, die zwar von der US Air Force angeregt, dann aber doch nicht gekauft wurde. Die F-104 »Starfighter« war in vieler Hinsicht ein außergewöhnliches Kampfflugzeug: Es war leicht und doch doppelt so schnell wie der Schall. Lockheed bot sogar an, die Lizenz zum Bau solcher Maschinen nach Deutschland zu vergeben. Der Konzern hoffte, so auch andere Nato-Staaten als Absatzmarkt zu gewinnen.

Experten aber warnten: Die in nur zwei Jahren konstruierte Maschine sei ein Schönwetterflugzeug und der raketenförmige Rumpf ungeeignet, um zahlreiche elektronische Bauteile unterzubringen. Auch Reichweite und Nutzlast sprachen gegen einen Einsatz als Atombomber. Lockheed jedoch verstand es, die Entscheider durch werbewirksame Rekordflüge und schwarze Dollars in Millionenhöhe bei der Stange zu halten. Im Frühjahr 1960 wurde der erste noch in den USA für die bundesdeutsche Luftwaffe gebaute »Starfighter« ausgeliefert. Er diente zunächst an der Luftwaffenschule in Kaufbeuren zur Ausbildung von Technikern. Nach und nach kamen weitere »Sternenkämpfer« über den Atlantik. 1961 begann die Lizenzproduktion des F-104 G in Deutschland. Diese »Germany«-Version konnte angeblich alles. Vor allem Atomwaffen tragen.

Die Bundesluftwaffe und die Bundesmarine waren mit 916 Stück der größte Abnehmer des Waffensystems, das zum Debakel wurde. »Witwenmacher«, wurde das Flugzeug alsbald genannt. In den 30 Jahren seiner Nutzung stürzten 292 ab. 108 Bundeswehr- und acht US-Piloten kamen ums Leben. An Stammtischen kursierte der bitterböse Witz: Wie kommt man am leichtesten zu einem »Starfighter«? Man kauft sich ein paar Quadratmeter Grund und wartet.

Wenn Kommandeure in die Wohnsiedlungen der Piloten fuhren, um mal wieder eine Todesnachricht zu überbringen, nahmen sie Geschwaderärzte mit, damit die sich um die jungen Frauen kümmerten, die vom westdeutschen Wiederbewaffnungswahn ins Witwendasein gestoßen wurden. Der Militärgeheimdienst wurde ausgeschickt, um Aufbegehren zu verhindern. 1965 war das schwärzeste »Starfighter«-Jahr. 26 der jeweils sechs Millionen D-Mark teuren F-104 G fielen vom Himmel. 17 Piloten, die wie die meisten »Starfighter«-Flieger trotz der Gefahr immer wieder voller Stolz in die Cockpits gestiegen waren, kamen um. In Friedenszeiten.

Fieberhaft arbeitete man an der Beseitigung bekannter Mängel. Doch die Unfallursachen waren vielfältig. Mal versagte beim Start der Nachbrenner, fehlerhafte Sauerstoffversorgung führte zur Bewusstlosigkeit bei Piloten, im Cockpit brach Feuer aus, Schleudersitze wurden zu Mordinstrumenten, Bremsschirme versagten. Dazu gab es Unfälle durch Vogelschlag und allzu wilde Flugmanöver. Das raketengleiche Geschoss ließ keinen Pilotenfehler zu, denn es war schneller unterwegs, als das menschliche Hirn denken konnte, erinnern sich Fluglehrer.

Mehrmals gab es Flugverbote, doch die dauerten nicht lange an, denn es herrschte Kalter Krieg und man war emsig bemüht, vor allem den Nuklearplanern der Nato einsatzbereite Geschwader zur Verfügung zu stellen. 1966, auf dem Höhepunkt der »Starfighter«-Krise, wurde General Johannes Steinhoff, der schon als Wehrmachtsoffizier Strahlflugzeuge geflogen hatte, zum Inspekteur der Luftwaffe ernannt. Er sorgte für bessere Ausbildung durch mehr Flugstunden und ließ Shelter für die Maschinen bauen, die bis dahin zumeist Wind und Wetter ausgesetzt waren. Die Anzahl der Unfälle sank.

Von derartigen Problemen bleiben heutige Bundeswehrpiloten verschont. Nicht jedoch von der Verpflichtung, im Ernstfall US-Atomwaffen abwerfen zu müssen. Zu Wochenbeginn hatte die derzeitige Verteidigungsministerin ihre Kommandeure zur alljährlichen Kursbestimmung einbestellt. Bei allem, was neu und anders als im vergangenen Kalten Krieg ist, bleibe es dabei, dass die USA für Deutschland ein ebenso treuer Freund wie unentbehrlicher Verbündeter sind. Trotz aller Unwägbarkeiten, die derzeit unter Präsident Donald Trump, der die Befehlsgewalt auch über die für deutsche Piloten reservierten atomaren Waffen hat, nach Europa schwappen.

Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) wollte auf der Kommandeurtagung »auch ein Wort zur nuklearen Teilhabe sagen«, denn: Das Thema, so die Ministerin, werde uns in den kommenden Wochen und Monaten beschäftigen. Aus dem einen Wort wurden zwei Sätze mit allgemeinem Inhalt: Deutschland ist und bleibt auf den Nuklearschirm der Nato, also vor allem auf die Killerkraft der US-Bomben, angewiesen. Und: Die Bundeswehr wird alle Pflichten im Rahmen der nuklearen Teilhabe erfüllen.

Man ist also weiter bereit, die von den USA in der Eifel gelagerten Atombomben an deutsche »Tornado«-Jagdbomber zu hängen und rechtfertigt die Entscheidung mit zwei Argumenten. Erstens: Atomwaffen seien ja nur Mittel der Abschreckung. Zweitens: Wer verhindern wolle, dass die nukleare Keule eingesetzt wird, müsse an den Planungen möglicher Einsätze beteiligt sein. Das gehe aber nur, wenn man Bomber bereitstellt.

Die deutschen sind jedoch in die Jahre gekommen und nicht effektiv genug für die neuen Bomben, die in den USA gerade gebaut werden. Ob ihrer regulierbaren Sprengkraft erscheint deren Einsatz gegen Punktziele akzeptabler.

Vor sechs Jahrzehnten beschaffte die Bundeswehr für den A-Bomben-Transporter-Job »Starfighter«. Was ist nun die erste Wahl? Bis der verabredete deutsch-französische Kampfjet sich in die Lüfte erhebt, werden noch Jahrzehnte vergehen. Laut Plan des Verteidigungsministeriums soll die Entscheidung für einen »Starfighter-Enkel« im ersten Quartal 2020 fallen. Die F-35 von Lockheed, für die sich bereits sieben europäische Nato-Staaten entschieden haben, ist aus dem Rennen, weil die nicht gleichzeitig zur elektronischen Kriegsführung taugt. Und sie ist extrem teuer. Airbus verspricht, dass sich der - wie die F-104 - ursprünglich als Abfangjäger konzipierte »Eurofighter« zum Atombombenträger modifizieren lasse. Doch es ist zweifelhaft, dass die USA diesem Typ die notwendige Zertifizierung erteilen. Schließlich geht es um ein Milliardengeschäft und Boeing bietet mit der F/A-18 ein Flugzeug an, das bereits für den nuklearen Wahnsinn optimiert wurde. Aber obwohl die »Super-Hornet« - wie einst der »Starfighter« - weltweit herumgezeigt wurde, halten sich Boeings Exporterfolge bei diesem Typ in bescheidenen Grenzen.

Insgeheim verweisen Militärexperten auf eine zusätzliche Option. Die Bundesrepublik und die Atommacht Frankreich, mit der sich derzeit so viele deutsche Hochrüster enger denn je verbunden fühlen, haben die Entwicklung neuer Artilleriesysteme vereinbart. Dazu gehört angeblich eine Boden-Boden-Rakete, die besonders dann interessant ist, wenn sie bis zu 5000 Kilometer weit fliegt. Es ist unwahrscheinlich, dass man das Hightech-Ding mit Gummibärchen bestücken will.

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