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Von BWL zum Boxwettkampf
Zeitgenössische Jugendkultur ohne Peinlichkeit: Die Komödie »Isi & Ossi«
Das deutsche Fernsehen ist jenseits von Grimms Märchen normalerweise wohlgeordnet. Reiche machen reiche Sachen wie Business, erben, Schampus saufen. Arme machen arme Sachen wie Stütze kassieren, klauen, Tiefkühlpizza fressen. Der Mittelstand könnte zwar fiktional vermitteln, ist fürs Entertainment aber so schwer vermittelbar, dass Reiche und Arme nur dann Berührungspunkte haben, wenn erstere letztere ausbeuten oder letztere erstere ausrauben. Schon Derrick hat all die Mörder von München-Grünwald meist in den Villen jener Wohlstandsgewinner gefunden, deren Bewohner allenfalls zum Immobiliendeal mal Plattenbausiedlungen am Stadtrand betreten.
So war es immer, so wird’s weiter sein - so kann das aber nicht weitergehen, dachte sich Netflix und hat Oliver Kienle damit beauftragt, das nach »Bad Banks« zweitbeste deutschsprachige Drehbuch seit langem zu schreiben. Und weil Kienle auch gleich noch Regie führt, ist »Isi & Ossi« neben dem Finanzmarktthriller was hierzulande jemals Unter- und Oberschicht fiktional zusammengebracht hat.
Da die stinkreiche Abiturientin Isabel Vogt (Lisa Vicari) statt BWL zu studieren lieber Köchin werden will, dafür jedoch vorzeitig ans millionenschwere Treuhandkonto muss, erpresst sie ihre standesbewussten Eltern mit einer unstandesgemäßen Scheinbeziehung zum prolligen Preisboxer Oscar (Dennis Mojen), was dieser nach kurzem Zögern auch akzeptiert. Denn während Isis Sippe an Isis 10. Geburtstag 2 347 865 513,27 Euro besaß, brachte es Ossis Mutter aufs Doppelte der letzten vier Ziffern. Also bittet die Mutter ihren Sohn zehn Jahre später, dem verwöhnten Gör vom Internat Geld für seinen Profikampf und die eigene Steuerschuld abzuluchsen. »Brauchst sie ja nicht gleich heiraten.« Superplan.
Theoretisch. Denn praktisch wird aus dem wechselseitig ertragreichen Deal vermeintlich unvereinbarer Antipoden unvermeidbar romantischer Ernst: Isi aus dem gediegenen Heidelberg verknallt sich tatsächlich in Ossi aus dem derben Mannheim, woraufhin ihre Mutter (Christina Hecke) den Geldhahn zudreht und damit eine Eskalationsspirale in Gang setzt, die alle Beteiligten von Cybermobbing, Klassenbewusstsein und viel falschem Stolz befeuert Richtung Happy End treibt. Alles also wie so oft in Cinderella-Erzählungen jeder Art - selbst, wenn die Rollen in diesem Märchen vertauscht sind.
Dass dann aber doch alles ein klein bisschen anders wird als erwartet, hat Tausend kleine und ein paar sehr große Gründe. Zu den größten zählt ein fantastischer Cast, der Oliver Kienles Dialogregie mit spielerischer Leichtigkeit teils dokumentarische Präzision verleiht. Dennis Mojen zum Beispiel verleiht der kurzen Lunte des sozial benachteiligten Kämpfers eine Emotionalität, als sei er wirklich mit Ernst Stötzners Knast-Opa verwandt, der sich, zurück in Freiheit, als Hip-Hop-Rentner versucht. Ähnlich wohl fühlt sich Lisa Vicari offenbar in der gepflegten Haut einer Prinzessin, die zwar den goldenen Käfig, nicht aber die Privilegien darin hinter sich lassen will. Und wenn sie Ossi nach dem Besuch des Luxusfuhrparks unterm Luxusanwesen auffordert, »mich mal richtig asozial« zu küssen, was der damit kontert, »ich kann nur gut küssen«, bringen beide die Gräben unserer Gesellschaft mit wenigen Worten heiter auf den Punkt.
Sicher, das Schloss der Eltern ist etwas zu prächtig, das Arbeitsamt des Pöbels etwas zu dreckig und wenn Ossis Jugendfreund (Walid Al-Atiyad) ein Dick-Pic genanntes Pimmelbild versehentlich an seine Mutter schickt, gleitet das kabarettistische Potenzial schon mal ins Ulkige ab. Darüber hinaus aber schafft Oliver Kienle nach dem Jugendfilm »Bis aufs Blut« bereits zum zweiten Mal, was öffentlich-rechtlichen Sozialdramen meist herzlich misslingt: Die Jugendkultur zwischen Ausbruchsattitüde und Zukunftsträumen frei von Peinlichkeiten aufs Korn zu nehmen, ohne sie bloßzustellen. Allein dafür muss man dem ersten deutschen Spielfilm von Netflix dankbar sein.
»Isi & Ossi«, ab 14. Februar auf Netflix.
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