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Die Freude übers Dochirgendwiegutsein
Best of Menschheit, Folge 8: Scham
Von den vielen menschlichen Gefühlen, die einem das Dasein erschweren bis vermiesen können, gehört Scham zu den feinsten. Zumindest wenn sie einem nicht von religiösen Spinnern aufgezwungen wird. Scham vernünftig zu vergemeinschaften, ist der Menschheit nie gelungen, aber hier und da hat sie Wunder gewirkt. Zum Beispiel bei der vorübergehenden Teilzivilisierung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Menschheit hat im Kapitalismus zu sich gefunden und mit dem, was euphemistisch »Klimawandel« genannt wird, zu ihrem Ende. Zeit also, kurz vor Schluss zurückzublicken auf ein paar tausend Jahre Zivilisation und all das, was trotz allem gar nicht so übel war.
Schamlosigkeit ist kein erstrebenswertes Ziel. Das Ringen mit Schamgefühlen, die gelegentliche Bezwingung wie die einsichtige Einhaltung, sind wesentlicher Teil eines halbwegs würdevollen Umgangs mit all den anderen unzulänglichen Menschen, mit denen gemeinsam man so etwas wie Gesellschaft erzeugt. Vor allem sorgt Scham dafür, dass man es sich manchmal zweimal oder dreimal überlegt, bevor man etwas tut.
Zum Beispiel aus Freude darüber, dass kurz nach einer rassistischen Terrorattacke ein paar Deutsche weniger die Nazis gewählt haben könnten, die politisch und parlamentarisch diesem Terror den Weg bereitet haben, einen Tweet wie diesen zu veröffentlichen: »Die Hamburger haben heute gestimmt für: Ferhat Ü. Mercedes K. Sedat G. Gökhan G. Hamza K. Kalojan V. Vili Viorel P. Said Nesar H. Fatih S. Hamburgwahl«. Vor allem, wenn man die »Heute-Show« ist und angeblich beruflich Satire oder etwas Ähnliches macht.
Dieser Tweet ist auf so vielen Ebenen schamlos und falsch, dass sich gar nicht alle erfassen lassen. Er vereinnahmt Mordopfer für einen denkbar satirefernen Zweck: eine Gesellschaft, eine Bevölkerung, einen Staat zu entlasten. Den Finger in die Wunde zu legen, um sie zu verstecken. Mit der spitzen Feder so zu streicheln, dass es angenehm kribbelt. Und zwar bei all denen, die so ein rassistischer Anschlag schon irgendwie traurig macht, aber nicht direkt betrifft. Wohlfühlsatire, bei der die, die aufgrund dieses Anschlags noch mehr Angst um Unversehrtheit und Leben haben, nur Mittel zum Zweck sind.
Und es ist auf jeder Bedeutungsebene sachlich falsch. Hätten die Hamburger für Ermordete gestimmt, wären die Stimmzettel ungültig. Was aber immerhin das bessere Signal gewesen wäre als die tatsächliche Wahl. Denn selbst wenn die Nationalsatiriker nicht verfrüht nach der ersten Hochrechnung mit ihrer Freude übers Dochirgendwiegutsein der Hamburger, die hier für ganz Deutschland stehen, herausgeplatzt wären und die AfD nicht wieder im Landtag gelandet wäre, stimmte es schlicht nicht. Man kann sich sicher sein, dass grob geschätzt null bis hundertzwölf der Hamburger Wähler, die sich nicht durch die Hanauer Morde unmittelbar bedroht fühlen, ihre Entscheidung aufgrund ebendieser trafen. Die große Mehrheit wird ihre üblichen Gründe gehabt haben. Dinge eben, die sie wirklich betreffen: Günstige Kita- und Parkplätze oder so.
Besäßen die Erdenker und Absender dieses Tweets Scham, hätten sie sie beim bestimmt zuweilen auch respektablen Anwitzeln gegen die Bösen und Blöden da oben (und das zugehörige Geldverdienen) nicht verloren, sie hätten vielleicht gezögert und nicht, wie es den Anschein hat, das vorbereitete Deutschlandrettungspathos bei der ersten Gelegenheit rausgehauen. Und sich dabei auch noch einfach nur gut gefühlt.
Scham sorgt dafür, dass selbst dann, wenn man sich gegen sie entscheidet, noch ein Rest Unbehagen bleibt. Scham sorgt dafür, dass Lachen nicht nur rücksichtslose Befreiung ist, sondern einen Blick ins verdrängte Ungute ermöglicht. Wer aber nur immer über die falschen Anderen lachen will, der kommt schnell dort an, wo er ernsthaft schamlos sich und seinesgleichen selbst bewundert, während er Ermordete instrumentalisiert.
Die einzigen noch Schamloseren sind die Nazis, die sich an der Lächerlichkeit eines solchen Ehrenrettungsversuches aufgeilen. Doch bei denen ist mit Scham ohnehin nichts mehr zu machen. Da tun es nur noch Erziehungsmethoden ähnlich denen von religiösen Spinnern.
Der Rest möge aber bitte im Endspurt der Zivilisation sich ein wenig auf die gute Scham besinnen, damit wenigstens ein würdevolles Sterben und Gedenken möglich bleibt - wenn schon würdevolles Leben unmöglich geworden ist.
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