- Politik
- Indien
Brutale Ausschreitungen in Delhi
Randalierende Mobs ziehen durch muslimisch geprägte Stadtviertel / Ausnahmezustand ausgerufen
Die Schulen im Nordosten Delhis sind geschlossen. Für Teile der Stadt wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Medienberichten zufolge verließen Menschen muslimisch geprägten Vierteln, in der in den vergangenen Tagen die Gewalt zu verheerendem Chaos führte. In den sozialen Netzwerken sorgen die entsprechenden Bilder für Empörung. Viele Stimmen nennen es die schlimmsten religiösen Ausschreitungen in Delhi seit Jahrzehnten. Videoaufnahmen zeigen randalierende Männer, die die Straßen mit Eisenstangen und Holzstäben durchstreiften und nach Zeugenaussagen Passanten nach ihrer Religionszugehörigkeit befragten. Konkret ging es darum, ob sie Hindus oder Muslime seien.
Überraschen kamen diese Meldungen wohl auch für Premierminister Narendra Modi. Plötzlich wechselten am Montagnachmittag die Nachrichtensender vom pompösen Empfang des US-Präsidenten, der im Rahmen seines ersten Staatsbesuchs ein Cricketstation in westindischen Ahmedabad eröffnete, zu Gewaltszenen aus Delhi. Hinter Rauchwolken waren flüchtende Menschen zu sehen. Ein Mann eröffnete das Feuer auf einen Polizisten. Ein Beamter und mehrere Zivilisten kamen dabei ums Leben. Auslöser der Proteste war das Einbürgerungsgesetz CAA, welche in Gewalt und Vandalismus umschlugen. Seit Beginn der ersten Ausschreitungen am Sonntagabend liegt die Zahl der Todesopfer laut der Zeitung »Times of India« bei 23.
Am dritten Tag ist die Lage immer noch nicht unter Kontrolle. Ausgelöst könnten die Tumulte durch Provokationen des BJP-Politikers Kapil Mishra gewesen sein. Am Sonntag forderte Mishra nach Angaben der Zeitung »Indian Express« Muslim*innen auf, die aus Protest gegen das Staatsbürgerschaftsgesetz CAA eine Straße in der Nähe der U-Bahn-Station Jaffrabad im Nordwesten Delhis blockierten, den Platz zu verlassen. Andernfalls werde er sie binnen drei Tagen entfernen. Die Situation eskalierte.
Gruppen auf beiden Seiten - Befürworter und Gegner des CAA - griffen sich gegenseitig an und warfen Steine. Daraus resultierten Straßenschlachten zwischen Hindus und Muslimen. Mehrere Journalist*innen berichteten von Übergriffen, als sie im Einsatz waren. Am Dienstagnachmittag verbreiteten sich zudem Bilder von einem Mob, der eine Moschee in Delhis Stadtteil Ashok Nagar attackierte.
Junge Männer drangen in das Gotteshaus ein und brachten eine hinduistische Fahne am Turm an. Später sollen sie die Moschee in Brand gesetzt haben. Am Abend folgten Meldungen, dass eine weitere kleine Moschee und muslimische Geschäfte angezündet wurden, ebenso brannte ein Reifenmarkt.
Als Reaktion fordert die Oppositionspartei Kongress den Rücktritt des Innenministers Amit Shah (BJP). Vonseiten des Obersten Gerichts hieß es: »Das Problem ist die mangelnde Professionalität der Polizei und ihre mangelnde Unabhängigkeit. Wenn die Polizei in Übereinstimmung mit dem Gesetz handeln würde, würden viele dieser Probleme nicht auftreten«. Fünf Polizeioffiziere wurden versetzt.
Seit über zwei Monaten finden in Indien Proteste gegen das neue Einbürgerungsgesetz statt. Sie richten sich weiter gegen die hindunationalistische Agenda der BJP-Regierung, die im Sommer mit großer Mehrheit im Amt bestätigt wurde. Viele sehen das Gesetz als diskriminierend an, da es Muslime - mit etwa 200 Millionen stellen sie die größte Minderheit im Land - von der Regelung ausschließt. US-Präsident Donald Trump, der sich bis Dienstag noch im Land befand, blieb offenbar unbeeindruckt vom Geschehen in Delhi. Auch wenn die Ausschreitungen besonders an seinem letzten Besuchstag einen dunklen Schatten auf seine Visite warfen.
Viel mehr dürfte die Gewalt Premierminister Narendra Modi die Aufmerksamkeit gestohlen haben. Nach Trumps Abreise meldete sich auch Modi zu Wort: »Ich appelliere an meine Schwestern und Brüder in Delhi, jederzeit Frieden und Brüderlichkeit zu wahren!« Doch seine Reaktion kommt spät.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.