Streitlustig in die Brexit-Ära

Premier Boris Johnson bleibt gegenüber der EU bei einer Konfrontationsstrategie

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Die britische Regierung gibt sich vor den Verhandlungen mit der Europäischen Union (EU) über die künftige Zusammenarbeit streitlustig. Großbritannien werde sich nach dem Austritt weder EU-Gesetzen unterwerfen noch eine Einschränkung bei der »regulatorischen Freiheit« in Kauf nehmen, hallte es Ende vergangener Woche aus London. Premierminister Boris Johnson signalisierte bei der Vorstellung seiner Richtlinien für die Verhandlungen gar seine Bereitschaft, diese scheitern zu lassen. An diesem Montag beginnen die Gespräche darüber, wie die Beziehungen nach Ablauf der Brexit-Übergangsphase zum 31. Dezember ausgestaltet werden.

Zu Beginn ihres 30-seitigen Dokuments lässt die britische Regierung wissen, sie strebe »eine Beziehung auf der Grundlage freundlicher Zusammenarbeit« an. Auf keinen Fall werde London aber eine Abmachung akzeptieren, bei der Großbritannien keine Kontrolle über die eigenen Gesetze und das »politische Leben« habe. Das bedeute auch, dass der Europäische Gerichtshof nicht als Schiedsinstanz anerkannt würde. Im Zentrum der künftigen Beziehung soll ein umfassendes Freihandelsabkommen stehen, schreibt die Regierung, sodass Handelsgüter zollfrei ein- und ausgeführt werden können. Die EU-Institutionen sollen jedoch weder bei staatlichen Hilfeleistungen etwas zu sagen haben, noch will sich Großbritannien von Brüssel vorschreiben lassen, welche Regeln beim Arbeits- und Umweltschutz gelten.

Dies widerspricht der Politischen Erklärung, die dem zum 31. Januar in Kraft getretenen Brexit-Deal beigefügt worden ist und der Großbritannien im Oktober zugestimmt hat. Darin steht, dass ein »level playing field« beibehalten werden müsse - das heißt, dass Großbritannien nicht unilateral Regulierungen aufweichen darf, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Die unterschiedlichen Ausgangspositionen der Verhandlungspartner dürften schon bald zu heftigen Auseinandersetzungen führen. Am vergangenen Dienstag zeigte sich EU-Chefunterhändler Michel Barnier frustriert, dass London offensichtlich Zusagen über Bord werfe. »Alle Worte zählen«, sagte Barnier und warnte Großbritannien, »nicht rückwärts zu gehen, wenn wir nach vorne gehen sollten.«

Auch zu Hause geriet Boris Johnson in die Kritik. Die Abgeordnete Caroline Lucas (Grüne) warf ihm vor, unmögliche Forderungen zu stellen: Die Regierung tue »alles, um ein Handelsabkommen mit der EU zu vermeiden«. Die »Brexit-Fanatiker« hielten das Ruder fest in der Hand.

Dass die Gespräche schon bald blockiert sein könnten, scheint Johnson einzukalkulieren. Wenn die Verhandlungen »kein zufriedenstellendes Ergebnis« bringen, steht im Regierungsdokument, dann werde die Beziehung zur EU ab 2021 ähnlich aussehen wie jene zu Australien. Der Handel würde dann größtenteils gemäß den Regeln der Welthandelsorganisation gesteuert. Mit anderen Worten: Es käme zum No Deal.

Es ist gut möglich, dass London seine harte Verhandlungsposition noch aufweicht. Aber viel Zeit bleibt nicht: Im Juni sollen die Grundlagen des Abkommens stehen, damit anschließend die Details ausgearbeitet werden können. Kommentar Seite 8

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