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  • Dichter, Theologe und Querdenker

Ernesto Cardenal ist tot

Der Dichter und überzeugte Marxist starb mit 95 Jahren

  • Lesedauer: 3 Min.

Frankfurt a.M. Idol der einen - Ärgernis der anderen: Ernesto Cardenal gehörte zu den wichtigsten Persönlichkeiten des kulturellen Lebens in Lateinamerika. In Deutschland wurde der Dichter, Theologe und Querdenker mit Baskenmütze auf rebellischem Haar eine Symbolfigur der Linken. Am Sonntag ist der überzeugte Marxist und Befreiungstheologe mit 95 Jahren gestorben.

»Ich bin kein Extremist«, hatte Cardenal noch im vergangenen Dezember auf einer Konferenz in Mexiko gesagt. »Demokratie zu verlangen ist kein Extremismus.« Das richtete sich an den nicaraguanischen Präsident Daniel Ortega, den zu kritisieren der katholische Dichter nicht müde wurde. Cardenals einstiger Kampfgefährte für die Befreiung Nicaraguas von der Somoza-Diktatur regiert seit Jahren autoritär. »Was Ernesto Cardenal vor der Repression schützt, die andere Kritiker bedroht, ist seine Bekanntheit im Ausland«, sagte der Musiker Roberto Deimel, ein langjähriger Freund Cardenals.

Der kämpferische Literat war schmächtig geworden in seinen letzten Lebensjahren, sein schlohweißes Haar dünner, für mehr als ein paar Schritte brauchte er einen Rollstuhl. Doch so, wie er weiter entschieden und öffentlich für seine Überzeugungen wie Gerechtigkeit und Solidarität eintrat, arbeitete er auch weiter. Zuletzt erschien das Langgedicht »Hijos de las estrellas« (Kinder der Sterne) in einer illustrierten Ausgabe. »Er schreibt immer weiter«, sagte seine langjährige Assistentin Luz Marina Acosta bei der Vorstellung des Buches 2019. »Es scheint, als hätten wir den Dichter noch eine Weile.«

Doch schon vor rund einem Jahr erschien das anders: Eine Niereninfektion zwang Cardenal, der in Nicaraguas Hauptstadt Managua lebte, zu einem längeren Krankenhausaufenthalt. Dort erreichte ihn die Nachricht, auf die er Jahrzehnte gewartet hatte: Der Vatikan hob die Sanktionen gegen ihn auf. Wegen seiner Beteiligung an der ersten Regierung nach der sandinistischen Revolution in Nicaragua hatte Johannes Paul II. Cardenal 1985 von seinen priesterlichen Ämtern enthoben. Er durfte keine Messen mehr halten und keine Sakramente erteilen. Johannes Paul II. war ein vehementer Gegner der Befreiungstheologie, die sich für die Benachteiligten und Armen einsetzt.

»Die Nachricht seiner Rehabilitierung hat ihm so gutgetan, dass er sich erholt hat«, sagte Deimel, der über Jahre Cardenals zahlreiche Auftritte in Deutschland organisiert hat. In der Bundesrepublik hatte der Dichter eine treue Fangemeinde. »Tatsächlich ist er zuerst in Deutschland bekannt geworden und dann in Lateinamerika«, berichtete Deimel. Einige Werke wie das autobiografische »Verlorenes Leben« (Vida Perdida) erschienen zuerst auf Deutsch.

Seine ersten literarischen Versuche, meist elegische Liebesgedichte, machte Cardenal in seiner Zeit im Jesuitenkolleg. Danach studierte der Sohn wohlhabender Eltern Literatur in Nicaragua, Mexiko und den USA und engagierte sich in der revolutionären Bewegung. 1954 entkam er nur knapp einem Massaker. Ein »mystisches Erlebnis« bewegte ihn dazu, 1957 in ein Trappistenkloster in den USA einzutreten. »Die Liebe zur Schönheit der Mädchen führte mich zur Liebe zu Gott, Schöpfer aller Schönheit«, sagte Cardenal.

Während seines Theologiestudiums entstanden die Psalmen, die zu seinen wichtigsten Werken gehören. Darin klagte er Gewalt, Diktatur und Habgier an und äußert doch Zuversicht auf Gottes Schutz. Aber er erlaubte sich auch Zweifel: »Wie lange noch Herr, wirst Du neutral sein?/Wie lange teilnahmslos zusehen?«

1966 kehrte er nach Nicaragua zurück, wo er die Gemeinschaft von Solentiname mitbegründete, die im »Evangelium der Bauern von Solentiname« zu Literatur wurde. Mit Beginn der Revolution 1977 floh Cardenal und wurde Sprecher der Sandinistischen Befreiungsfront FSLN. Nach dem Sieg 1979 der Sandinisten war er bis 1987 Kulturminister. 1980 erhielt er für sein Engagement den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels - nur eine von zahlreichen Auszeichnungen.

Nach zunehmenden Meinungsverschiedenheiten mit Ortega verließ Cardenal 1994 die sandinistische Bewegung. Seitdem litt er unter den Entwicklungen in seinem Land. Doch sein fragiler Gesundheitszustand erlaubte ihm kaum mehr seine geliebten Reisen ins Ausland. epd

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