Von Poubelle bis Litfaßsäule

Vittorio Magnano Lampugnani berichtet über bedeutsame Belanglosigkeiten

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 3 Min.

Städte teilen sich nicht nur über ihre Bedeutung und ihre Einwohner mit, ihre Größe und Geschichte, ihre Ökonomie und - je nachdem - ihr Chaos, sondern auch durch die angeblich »kleinen Dinge«. Diese, im Stadtraum mehr oder weniger sinnvoll verteilt, nimmt Vittorio Magnano Lampugnani in den Blick, der vielleicht bedeutendste Stadtwissenschaftler der Gegenwart.

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Vittorio Magnano Lampugnani: Bedeutsame Belanglosigkeiten. Kleine Dinge im Stadtraum.
Wagenbach, 188 S., geb., 30 €.

Er beginnt mit Mikroarchitekturen wie dem Kiosk, der öffentlichen Toilette, dem Metroeingang. Es folgen weitere »Belanglosigkeiten« wie Denkmal, Abfallkorb, Straßenschild oder Reklame. Er rundet seine naturgemäß auswählende Tour d’Horizon mit Elementen wie dem Schaufenster, dem Bürgersteig oder dem Schachtdeckel ab.

Bei jedem dieser über zwanzig Kurzessays geht der in Italien wie Deutschland, in der Schweiz oder in Frankreich flanierende Beobachtungskünstler in die Geschichte der jeweiligen »Kleinigkeit« zurück, die ihren Ursprung oft schon im Römischen Imperium oder im Mittelalter hat. Das welthistorisch gesehen kurze Leben der öffentlichen Telefonzelle ruft er ebenso lebendig auf wie die öffentlichen Abtritte der Römer als Orte des gemeinsamen unterhaltsamen Absitzens.

Bei seinen Wanderungen durch London, Paris, Wien und Zürich sowie immer wieder Berlin, wo er viel ge- und bewirkt hat, geraten wunderschöne Objekte in den Fokus der Betrachtung - und ins Objektiv der Kamera. Lampugnani ist überzeugt, man könne die Metropolen auch ohne ihre weltberühmten Wahrzeichen wie den Eiffelturm von Paris oder das Brandenburger Tor in Berlin an ihren »Belanglosigkeiten« unterscheiden, denen er liebevolle Aufmerksamkeit widmet und Bedeutsamkeit beimisst. Vielleicht muss man so gereist sein und mit so offenen Augen durch die Stadträume gehen wie er, um dies nacherleben zu können.

Geistreiche und gebildete Texte erhellen nebst zahlreicher Illustrationen nicht nur die Wichtigkeit dieser »kleinen Dinge im Stadtraum«, sondern geben auch Kostproben einer über diese Dinge hinausgehenden universellen Kultur.

In seinem Essay über den Brunnen schreibt Lampugnani: »Jean Giraudoux, Diplomat, Schriftsteller mit Architekturaffinität und Autor des Dramas ›Undine‹ hat einmal leichthin bemerkt, Zivilisation bedeute hauptsächlich, mit Wasser zu spielen.« Daran anknüpfend spannt der Autor einen weiten Bogen von einem Trinkwasserbrunnen in Pompeji zu dem 1975 aufgestellten Fastnachtsbrunnen von Jean Tinguely auf dem Basler Theaterplatz.

Ampelmänner West und Ampelmännchen Ost sind dem Autor nach dem historischen Foto vom 1925 aufgestellten berühmten Verkehrsturm von Jean Krämer am Potsdamer Platz gleichnishaft für das Stadtschicksal Berlins. Das frühere Reiterstandbild von Louis XIV. auf der heutigen Place Vendôme in Paris kontrastiert mit den inzwischen fast 100 000 Stolpersteinen des Gunter Demnig, die an die ermordeten Juden erinnern - »bedeutsame Belanglosigkeiten« von mahnendem Belang.

Manche Belanglosigkeiten haben weltweiten Ruhm erlangt. Eine ganze Seite in Lampugnanis Buch füllen Tür und Hausnummernschild der Downing Street 10 in London. Oder die Wurfgeschosse aus der »Schlacht am Landgericht« von Westberlin 1968. Einladend hingegen der Eingang des Herrenschneidersalons Kniže in Wien, den Adolf Loos entwarf.

Als sinnvoll, praktisch und hygienisch erwies sich der per Erlass vom Pariser Präfekten Eugène Poubelle 1883 verordnete Mülleimer, der in jedem städtischen Wohnhaus Pflicht sein sollte. Seitdem heißt der Müllschlucker in Frankreich Poubelle. Internationale Nachahmer fand der Berliner Reklame-Unternehmer Ernst Litfaß mit den nach ihm benannten Säulen, die aus dem Stadtbild der deutschen Hauptstadt verschwanden, weil ihre zylindrische Form nicht mehr den gängigen großen Papierformaten entsprach.

An den vielen von Lampugnani zusammengetragenen »bedeutsamen Belanglosigkeiten« lassen sich Stadtentwicklung und Zivilisation über die Zeiten verfolgen. Ein informatives wie unterhaltsames Buch, schön zu lesen und anzuschauen.

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