Die Stunde der Demagogen

Cas Mudde und Cristóbal Rovira Kaltwasser über Populismus

  • Heinz Niemann
  • Lesedauer: 4 Min.

Bedenkliche Veränderungen der politischen Landschaft in zahlreichen Ländern, ob wirtschaftlich prosperierend oder nicht, mit langer oder kurzer bürgerlich-demokratischer Tradition - vor allem nach Wahlschlappen etablierter Parteien und angesichts von Wahlsiegern vom rechten Rand wird in fast allen Medien versucht, dies mit dem Begriff des Populismus zu erklären. Das hat ganz wesentlich auch damit zu tun, dass sich dieser dank seines unscharfen, changierenden Charakters als Schlagwort nicht nur in der journalistischen Alltagssprache anbietet, sondern auch in der wissenschaftlichen Publizistik, wenn man bei der Analyse nicht weiterkommt.

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Cas Mudde/Cristóbal Rovira Kaltwasser: Populismus. Eine sehr kurze Einführung.
A. d. Engl. v. Anne Emmert. J. H.W. Dietz Nachf., 188 S., br., 18 €.

Die Autoren des hier zu besprechenden Buches fassen Populismus als eine eigenständige Ideologie auf. Sie analysieren, wie sich dieser heute präsentiert, skizzieren Mobilisierungsmethoden, die Rolle führender Populisten sowie ihr Verhältnis zur Demokratie und offerieren abschließend mögliche Antworten der Gesellschaft auf die populistische Herausforderung. Verdienstvoll ist der informative Überblick zu den Erscheinungsformen des Populismus in den USA, Lateinamerika und - am ausführlichsten - in Europa. Illustrativ sind die knappen Charakteristiken einiger der bekanntesten Populisten.

Die Auswahl der Figuren wie generell die Wertungen der von jenen vertretenen Politik macht gleich zwei Probleme deutlich: Entsprechend ihrer Definition des Populismus - was angesichts des Fehlens solcher in gängigen Wörterbüchern der Politikwissenschaft ein mutiges Unterfangen ist - als relativ selbstständige, wenn auch »dünne« Ideologie, die sich wegen eigener Dürftigkeit anderer »Wirtsideologien« bedienen müsse, benennen die Autoren zwar dessen rechte und linke Spielarten. Sie gehen aber der Analyse und Charakterisierung der zwei konträren Erscheinungsformen und ihrer gegensätzlichen ideologischen Quellen aus dem Wege. So werden rechte und linke Populisten letztlich weitgehend gleichgesetzt, weil beide sich als Gegner der liberalen Demokratie bzw. als Protagonisten von illiberaler Demokratie oder sogar Diktatur darstellen würden. Da wird Victor Orbán mit Alexis Tsipras in einem Atemzug genannt, Che Guevara und Fidel Castro finden hingegen interessanterweise keine Erwähnung.

Zweitens wäre meines Erachtens für eine Untersuchung des »Phänomens« Populismus ein Blick auf Ostdeutschland hilfreich. Als jüngstes Beispiel verdeutlicht der Populismus in den sogenannten neuen Bundesländern, dass politische Willensbildung (einschließlich Wahlentscheidungen) nie ganz ohne emotionale Einflüsse, Überzeugungen und Erwartungen erfolgt und auch von Enttäuschungen, Antipathien und Demütigungen beeinflusst ist. Werden solche Erfahrungen in unruhigen Zeiten zu einem kollektiven Schicksal oder werden durch gravierende Ereignisse die oft über lange Zeit angestauten Negativerfahrungen, Verletzungen des Gerechtigkeitsgefühls usw. wachgerüttelt, dann ist der psychologisch-soziologische Boden bereitet, auf dem Populismus zünden kann. Aus bisher gebundenen Wählermassen werden vagabundierende Empfänger gewünschter Botschaften, aus Kundgebungen werden Aufmärsche hysterischer Massen. Dies war und ist die Stunde der Demagogen. Die Herrschaft über die Straße erzeugt Gefühle der Macht. Erfolgreiche Populisten können zeitweise die wesentlichen sozialen und politischen Widersprüche durch den Gegensatz zwischen »Volk« und »Elite« überspielen.

Nach dem Verständnis historisch-materialistisch arbeitender Wissenschaftler ist Populismus primär eine kommunikative Form und Methode zur massenwirksamen Vermittlung von Politik. Er ist ganz allgemein eine ständig praktizierte Herrschaftstechnik jeder an der Macht befindlichen oder zur Macht strebenden Elite.

Die Nutzung ähnlicher Formen im rechten und linken Lager rechtfertigt keine Gleichsetzung. Linkspopulismus weist stets einen rationalen Kern oder Hintergrund auf. Er stellt zwar die (reale wie irrationale) Angst in Rechnung, aber diese soll in vernünftige Aktivität umgemünzt werden. Linker Populismus unterscheidet sich vom rechten prinzipiell in seiner Bindung an den seit Max Weber für Politik klassisch gewordenen Dreiklang von Leidenschaft, Verantwortung und Augenmaß - sowie, Webers Dreieinigkeit erweiternd, an Wahrhaftigkeit.

Trotz einiger Einwände lohnt sich die Lektüre für alle aktiven Politiker, ob auf Landes- oder Bundesebene wie auch im kommunalen Bereich, die sich mit rechtem Populismus auseinandersetzen müssen und wollen. Diese sich bescheiden »sehr kurze Einführung« nennende Publikation taugt als Lehrbuch.

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